: Eine angeleckte Briefmarke als Indiz
Eine 57-jährige Rechtsanwaltsgehilfin musste für eine DNA-Analyse ins Glas spucken. Die Bundesanwaltschaft will ihr auf diese Weise eine Tatbeteiligung an einem dreieinhalb Jahre zurückliegenden Brandanschlag auf einen Firmenfuhrpark nachweisen
von PLUTONIA PLARRE
Nichts ahnend geht die 57-jährige Rechtanwaltsgehilfin Anne K.* morgens ins Büro. Als sie in die Straße zu ihrer Arbeitsstelle einbiegt, sieht sie zwei Passanten, die mit großem Interesse die Auslage eines Bioladens studieren. Ungewöhnlich zu dieser Uhrzeit, denkt Anne K. – und ist im selben Moment von sieben Zivilbeamten umringt. „Kommen Sie mit“, fordern die Polizisten mit Hinweis auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs, in dem bei Anne K. die Entnahme einer Speichelprobe für eine DNA- Analyse angeordnet wird.
Der Vorfall hat sich Mitte Januar in Kreuzberg ereignet. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wird gegen Anne K. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129) ermittelt. Sie soll mit weiteren, unbekannten Personen aus der autonomen antifaschistischen Szene am 10. August 1997 an einem Brandanschlag auf den Fuhrpark der Spar-Handelsgesellschaft in Mittenwalde in Brandenburg beteiligt gewesen sein. Bei dem Anschlag wurden 31 Lastwagen beschädigt. Bei der Presse eingegangenen Bekennerschreiben war zu entnehmen, dass sich die Tat gegen die im Juli 1997 erfolgte Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes richtete. Die Gesetzesänderung bedeute, dass Asylbewerber nur noch in Sammelmagazinen einkaufen dürfen. In dem Bekennerschreiben wurde Spar vorgeworfen, „als alleiniger Lieferant der Sammelmagazine“ von der Gesetzesverschärfung zu profitieren.
Nach dem Brandanschlag hatte zunächst das brandenburgische Landeskriminalamt ermittelt, allerdings ohne Erfolg. Die Bundesanwaltschaft, die den Fall im Sommer 2000 an sich zog, versucht nun, mittels der DNA-Analyse weiterzukommen. Einziges Indiz sind demnach die Speichelspuren, die an den Briefmarken der Bekennerschreiben gefunden worden sind.
Die Rechtsanwaltsgehilfin Anne K. fühlte sich „wie in einem schlechten Krimi“, als sie auf dem Weg zur Arbeit mit dem Beschluss des Spucketests konfrontiert wurde. Anne K. ist Mutter und Großmutter, wohnt seit 25 Jahren in derselben Wohnung und ist in einem Anwaltsbüro fest angestellt. Dass sie in das Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden geraten ist, kann sie sich nur damit erklären, dass sie seit vielen Jahren in der Antirassismus- und Flüchtlingsarbeit politisch aktiv ist. Bei einer Demonstration gegen die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes habe sie im Sommer 1997 im Lautsprecherwagen gesessen. Nach einer Polizeikontrolle des Wagens sei sie wegen Widerstandes angezeigt worden. Das Verfahren wurde aber eingestellt. Seither, sagt Anne K., werde sie nicht mehr in Ruhe gelassen.
Im Sommer 1998 – ein Jahr nach dem Brandanschlag – fand bei Anne K. eine Hausdurchsuchung statt. Beschlagnahmt wurden dabei handschriftliche Unterlagen mit Formulierungen, die auch in dem Bekennerschreiben gestanden hatten. „Offene Grenze und Bleiberecht für alle“, lautete einer dieser Sätze. „Solche Forderungen“, sagt Anne K. „sind wohl in jeder Wohnung zu finden, in der sich die Leute mit Flüchtlingspolitik beschäftigen.“
Anne K. hat im Beisein der Zivilbeamten für die DNA-Analyse ins Glas gespuckt. Wann das biologische Muster mit dem Muster des Speichels von den Briefmarken auf Übereinstimmung abgeglichen ist, vermochte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht zu sagen. Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, hat den Eindruck, dass hier „auf Biegen und Brechen“ versucht wird, eine Tatbeteiligung von Anne K. zu konstruieren. „Das Verfahren hätte längst eingestellt werden müssen“.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen