: Wesen mit begrenzten Rechten
Das therapeutische Klonen ist umstritten. Doch spricht ethisch nichts gegen den „Verbrauch von Embryonen“ in der Forschung: Sie besitzen noch keine Interessen
Worum geht es in der heftigen Debatte um das „therapeutische Klonen“? Zunächst zu den Fakten: Das britische Parlament erweiterte kürzlich den Spielraum der Embryonenforschung: Künftig darf nicht nur – wie bislang schon – an den wenigen Embryonen geforscht werden, die aus der In-vitro-Befruchtung übrig bleiben. Es dürfen auch Embryonen geklont und in den ersten 14 Tagen ihrer Existenz verwendet werden. Frühembryonales Gewebe ist für die Forschung deshalb so interessant, weil sich aus ihm Stammzellen gewinnen lassen – die hoch vermehrungsfähig und zudem „Alleskönner“ sind, die sich in so unterschiedliche Zelltypen wie Leber-, Nerven-, Haut- oder Muskelzellen weiterentwickeln können. Die Erforschung dieser embryonalen Stammzellen lässt hoffen, dass man langfristig ein Drama vermeiden kann, das sich bisher häufig bei Transplantationen abspielt. Noch muss körperfremdes Gewebe übertragen werden, das dann vom Empfänger oft abgestoßen wird. Könnte jedoch körpereigenes Gewebe vermehrt, ja könnten am Ende sogar vollständige Organe gezüchtet werden, wären die Transplantationsbedürftigen nicht von dem „feindlichen“ und sowieso viel zu knappen Spendermaterial abhängig. Ein derartiges „therapeutisches“ Klonen würde, so hofft man weiter, zugleich revolutionäre Methoden der Bekämpfung etwa von Krebs, Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Chorea Huntington, Herzinsuffizienz oder degenerativen Gelenkerkrankungen ermöglichen. Zudem könnten die Wirkungen von Arzneien direkt an menschlichen Zellen untersucht werden. Damit wären nicht nur die Erkenntnisse sicherer: Versuchtstieren bliebe viel Leid erspart.
Der Kern der Debatte betrifft nun den hiermit verbundenden „Embryonenverbrauch“. Denn die Entnahme von Stammzellen zerstört bislang unvermeidlich den Embryo, der in diesem frühen „Blastozytenstadium“ noch so klein ist wie ein Stecknadelkopf und weniger als hundert Zellen umfasst. Insbesondere die katholische Kirche lehnt dies als Tötung menschlichen Lebens kategorisch ab. Sie betrachtet die Embryonalzellen von Anfang an als Personen mit vollem Anspruch auf Lebensschutz und auf Anerkennung ihrer Menschenwürde. Die katholische Kirche fordert daher, die Stammzellforschung auf so genannte „adulte“ Stammzellen zu begrenzen, die aus dem Nabelschnurblut oder aus menschlichen Körperzellen gewonnen werden. Die ausschließliche Beschränkung auf diese adulten Stammzellen hätte jedoch entscheidende Nachteile: Sie lassen sich bislang noch nicht hinreichend vermehren, ihre DNA ist oft schon durch Umwelteinflüsse geschädigt, und außerdem stehen sie für bestimmte Gewebetypen gar nicht zur Verfügung.
Aus Sicht der Forschung sind daher embryonale Stammzellen nicht durch andere zu ersetzen. Läuft dies aber auf die Tötung von Personen mit voller Menschenwürde hinaus? Ist es, wie Bischof Mixa in der FAZ schrieb, „nackte Mythologie, das Personsein vom Menschsein zu trennen“? Für eine religiös gebundene Ethik, die bereits in winzigen Zellhaufen „Gottes Ebenbild“ sieht, mag das so sein. Doch für nichtreligiöse Ethiksysteme, wie auch für unsere Rechtssysteme, ist es nicht plausibel, den Personenstatus an das blanke biologische Menschsein in allen seinen Stadien zu knüpfen – denn es geht ihnen vor allem um die gerechte Lösung von Interessenkonflikten zwischen interessefähigen Wesen. Sie begründen also immer Regeln oder Prinzipien, wie ethisch richtig zu handeln ist in Situationen, in denen – wie immer man sich entscheidet – zumindest ein Beteiligter geschädigt wird. Die Gegner des „Embryonenverbrauchs“ sehen in den Embryonen natürlich diejenigen, deren Interessen durch die Tötung so gravierend beeinträchtigt werden, dass dies selbst durch beste Zwecke nicht zu rechtfertigen ist. Von einer solchen Schädigung kann jedoch aus säkularethischer Sicht keine Rede sein. Denn empfindungslosen Zellverbänden lassen sich keine Interessen zuschreiben. Also können sie in ihnen auch nicht geschädigt werden. Denn dies setzt die Existenz eines Nervensystems voraus, von dessen Ausbildung ein 100-Zell-Embryo noch weit entfernt ist.
Dagegen wird oft eingewandt, dass der Embryo aber potenziell die Fähigkeit hätte, sich zu einem Wesen mit Interessen und also zu einer Person zu entwickeln. Das ist richtig, doch folgt daraus eben nicht, dass aktual Interessen geschädigt würden. Denn wäre die Potenzialität ein starkes Argument, dann müsste man analog bei einem noch getrennten Paar von Ei- und Samenzelle ein Interesse an ihrer Vereinigung und Fortentwicklung hin zu einer Person unterstellen. Abwegige Konsequenz: Jede Empfängnisverhütung wäre kategorisch zu verbieten. Ebenso abwegig ist es, den Verbrauch von Embryonen für Forschungszwecke zu verbieten, weil sie ein Interesse daran hätten, zu einem vollwertigen Menschen auszureifen. Die Tatsache, dass vereinigte Ei-Samenzell-Paare – anders als getrennte – biologisch bereits als Menschen zählen, ist ohne Belang. Denn ihnen fehlt trotzdem noch die Fähigkeit, Interessen zu haben. Stattdessen ist zu berücksichtigen, dass die Interessen der wichtigsten Betroffenen, also der Kranken und ihrer Angehörigen, durch die Embryonenforschung entschieden befördert würden. Mithin liegt eine Regelung wie in Großbritanien offenkundig im Allgemeininteresse, auch wenn noch unklar ist, wann und inwieweit sich die Hoffnungen der Medizin realisieren werden. Aber auch nur die Chancen auf Heilung dürfen den Kranken nicht genommen werden.
Hervorzuheben ist: Die verbrauchende Embryonenforschung ist begründbar, ohne dass damit die so biegsamen, weil so vagen Begriffe der „Person“ und der „Menschenwürde“ definiert werden müssten. An dieser Stelle ist Kulturstaatsminister Nida-Rümelin in seinen etwas unglücklichen Formulierungen oft missverstanden worden. Ihm wurde vorgeworfen, dass er also auch für die Tötung von Komatösen, Debilen, Föten oder Säuglingen sei. Das war jedoch nie die Absicht von Nida-Rümelin. Im Kern bezieht er sich, ohne es gebührend hervorzuheben, auf einen zentralen Unterschied: Anders als etwa schon Föten erfüllen Embryonen selbst die Minimalbedingung nicht, um Interessen entwickeln zu können – ihnen fehlt jede neuronale Verbindung zur Umwelt.
In diesem Zusammenhang wird von den Gegnern des Embryonenverbrauchs oft problematisiert, dass zwischen dem Embryo und dem ausgereiften Menschen ein bruchloses Kontinuum der Entwicklung liege und dass es daher willkürlich und unvertretbar sei, einen Punkt festzulegen, ab wann ein menschliches Wesen zur vollwertigen Person mit „Zweck-an-sich“-Status wird. Doch kann diese Frage hier offen bleiben. Es liegt ethisch nahe, gar keinen solchen Punkt zu bestimmen, sondern stattdessen für die schrittweise Ausbildung eines immer stärkeren Personenstatus zu votieren. Der für den kategorischen Lebensschutz nötige Grad an Personalität wird in jedem Falle von Frühembryonen noch nicht erreicht. Dass dies auch unseren Intuitionen entspricht, zeigt ein Gedankenexperiment des Rechtsphilosophen Reinhard Merkel: Angenommen, es brennt in einem Labor. Ein Wissenschaftler hat die Wahl, entweder zehn Embryonen in einem Reagenzglas oder aber ein lebendes Baby zu retten. Die Entscheidung ist klar: Selbst jene, die schon in Embryonen zu schützende Personen sehen, würden das Baby in Sicherheit bringen und die zehn Embryonen verbrennen lassen. Dies wäre passive Tötung. Doch würden wir uns auch für die aktive Tötung der Embryonen entscheiden, wenn es der Notfall erfordert. Angenommen, der Brand ließe sich nur löschen und das Baby nur retten, wenn wir eine chemische Lösung in die Flammen schütten, in denen die Embryonen schwimmen – wir würden es selbst dann tun, wenn wir 1.000 Embryonen opfern müssten. Damit aber werden die Embryonen faktisch als bloßes Mittel für einen edlen Zweck gesehen und nicht als Zweck an sich.
Es spricht allerdings viel dafür, auch auf Embryonen einen Schatten von Menschenwürde fallen zu lassen, indem man sie nicht für beliebige, sondern nur für hehrste Zwecke als Mittel einsetzt. Schwerstkranken ihr Leid zu ersparen ist sicher so ein Zweck. Die Apologie des Leidens, die der katholische Philosoph Robert Spaemann dagegen ins Feld führt, wird manchem Kranken wie blanker Hohn erscheinen.
Unbedingt zu betonen ist, dass die Befürwortung des therapeutischen Klonens, bei dem jeder Klon spätestens nach 14 Tagen „verbraucht“ sein muss, keineswegs auch eine Zustimmung zur beliebigen Veränderung des Genoms oder zum reproduktiven Klonen einschließt. Mit Letzterem ist jene künstliche Vermehrung der Zellen gemeint, wo die Klone zu voll entwickelten Lebewesen reifen. Hier ist in der Diskussion nicht immer differenziert worden. Das erklärt wohl auch die Hysterie mancher Reaktionen, die vermuten lassen könnten, man habe in Großbritanien Dr. Frankenstein zum Forschungsminister ernannt.
RAINER TRAPP
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