: Pizarros goldener Fußnagel
■ Werder Bremen besiegt Schalke 04 2:1. Plötzlich ist ein Uefa-Cup-Platz in greifbarer Nähe. Hat Schiedsrichter Helmut Fleischer halluzinogene Drogen konsumiert?
Nach Spielende rieb sich Huub Stevens kräftig die Hände. Ein kurzer Blick in das griesgrämige Gesicht des Schalker Trainers aber genügte, um zu wissen, dass der Anlass kein freudiger war. Anderthalb Stunden hatte Stevens da draußen im Weserstadion gefroren. Und am Ende stand er da mit eiskalten Händen und verkündete den JournalistInnen das ernüchternde Fazit eines langen Arbeitstages: „Wir haben zu Recht verloren.“ Werders Trainer Thomas Schaaf konnte und wollte da nicht widersprechen, hatte er doch kurz zuvor immerhin „das beste Spiel meiner Mannschaft in dieser Saison“ gesehen.
Schalke schlecht, Werder gut? – Ganz so einfach war's dann doch nicht. Zumindest zwischen der 45. Minute und dem Schlusspfiff demonstrierte Schaafs Elf gemeinsam mit den Schalkern über weite Strecken, dass Ballsport auch eine recht triste Angelegenheit sein kann, bei der man planlos Ball und Gegner tritt und ansonsten darauf wartet, dass Schiedsrichter Helmut Fleischer seinen letzten Atemzug ins Pfeifchen tut. Aber da war ja noch eine erste Halbzeit, und die lieferte in der Tat viel Anlass für leuchtende Augen.
Allein ein paar Sekunden in der 16. Minute hätten durchaus gerechtfertigt, einen Top-Zuschlag zu verlangen. Der von Vokalen nicht üppig gesegnete Mladen Krstajic schickte das Spielgerät auf eine 40 Meter lange Reise, die punktgenau auf dem ausgestreckten rechten Zehnagel des Werder-Stürmers Claudio Pizarro endete. Ein kurzer Lupfer, eine schöne Flugbahn über das lichte Haupt des zur Strafraumgrenze geeilten Oliver Reck hinweg – und das bis dahin gültige torlose Unentschieden gehörte der Vergangenheit an. Sowohl Schalkes Ebbe Sand als auch Pizarro hatten bereits in den Minuten zuvor klare Chancen versemmelt. Bis zum Halbzeitpfiff taten es ihnen Emile Mpenza, Andreas Möller auf Schalker sowie Krstajic und Ailton per Pfostenschuss auf Bremer Seite gleich.
Chancen hüben wie drüben nennt man sowas, die großzügig vergeben werden konnten, weil selbst Nicht-Chancen den Weg ins Tor fanden. So führte ein an sich harmloser Fernschuss von Fabian Ernst in der 26. Minute zum zweiten Bremer Treffer, weil der Schütze den Ball so geschickt gegen den vieleckigen Schädel des Schalkers Jiri Nemec bugsierte, dass er anschließend nicht mehr an jenem Ort einschlug, den Reck zuvor nach Auswertung aller Flugdaten minutiös berechnet hatte.
Schalke also gut, Bremen aber noch besser – und mit dem Quentchen Glück, dass auch Pizarros Tor zu einem Zeitpunkt ermöglichte, wo Schalke infolge einer Verletzung des Defensivakteurs van Kerckhoven zu zehnt spielte. Doch auch im vollszähligen Zustand vermochte die Knappen-Abwehr selten zu überzeugen. Vor allem Markus Happe vertrat die eigentümliche Berufsauffassung, es genüge, fortwährend mehrere Meter hinter dem Gegenspieler herzurennen, um die Aufstellung fürs nächste Spiel zu rechtfertigen.
Solche Sorgen musste sich Schaaf mit Blick auf seine Abwehrreihe wahrlich nicht machen. Vor dem mal wieder überragenden Torwart Frank Rost bot vor allem Libero Krstajic eine glänzende Vorstellung: Keine gegnerische Flanke, die er nicht kopfballend wieder aus dem Strafraum beförderte. Sollte es gelingen, dem Mann bald zwei Köpfe an die Füße zu schrauben, könnte er in der nächsten Saison wohl als eigenes Ligateam mit Titelambitionen auflaufen.
Nebst dem Anschlusstreffer von Ebbe Sand in der 66. Minute störte nur ein Mann noch die Fan-Träume vom Erreichen eines Uefa-Cup-Platzes: Schiri Fleischer. Vom Anpfiff an machte er klar, dass er an diesem Nachmittag nicht gewillt war, sich mental im weiten Rund des Weserstadions einzufinden. Mit beeindruckender Konsequenz vermied er richtige Entscheidungen, sah sich umzingelt von Freistößen, die keine waren und gab sich der Illusion hin, es würde schon niemandem auffallen, wenn der Referee 90 Minuten lang nicht beantworten kann, nach welchen Regeln er pfeift. Ab und an wollte man Fleischer schon ein leckeres BSE-Rinderfilet in den Hals wünschen. Andererseits: Groß geschadet hat er auch nicht. Also Schwamm drüber. Franco Zotta
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