familien, talkshows etc.: Bei „Vera am Mittag“ klären sich jeden Tag wieder die Verhältnisse
Haider muss hinten sitzen
Alle „Vera am Mittag“-Zuschauer fahren im Bus zum Studio Babelsberg schwarz. Die jungen Mädchen haben sich Glitzer auf die Lippen gecremt und essen „Tropi Frutti“ von Haribo. In der Eingangshalle vor dem Studio sitzen schon einige Rentner. Es zeigt sich, dass die Film- und Fernsehwelt vor allem aus Warten besteht.
Eine Frau, die wie alle anderen an der Kasse unterschrieben hat, dass sie mit den Teilnahmbedingungen einverstanden ist, fragt, ob jemand diese Bedingungen kenne. „Irgendwas mit den Bildrechten“, vermuten alle. Interessant ist ein anderes herumliegendes Formular zum Thema „Ich bin Single und möchte gerne andere Singles kennen lernen“. Man muss ankreuzen, ob man „Sexualpartner“ oder „Lebenspartner“ sucht.
Endlich scheint es loszugehen, aber dann kommt doch erst noch ein Werbefilm über die Nachmittags-Talkshow-Moderatorin Vera. Vera zeigt sich hier als sympathische dicke und übernächtigte Frau, die raucht, trinkt und auf Kneipentheken herumliegt. Oft küsst sie junge Praktikanten. Danach darf das Publikum ins Studio. Eine Sat.1-Frau teilt den Leuten Sitzplätze zu. Wir werden hinten in einer Ecke versteckt. Eine sehr übergewichtige Talkshow-Junkie-Frau bekommt eine Extrabank aufgestellt. Ein Mann, der wie Jörg Haider aussieht, darf nicht vorne sitzen.
Zuerst werden Klatsch-Szenen gedreht. Ein Sat.1-Mann befielt einer Zuschauerin zu kreischen. Aber sie hat Halsschmerzen. Später kommt Vera herein und bringt die ersten Gäste mit. Erst nachher erfährt man, dass das Thema der Sendung „Irgendetwas steht zwischen uns“ heißt. Die Gespräche auf der Bühne geben Einblick in Familienverhältnisse. Eine Anzeige läuft gegen eine harmlos aussehende Mutter. Sie hat dem Schwiegersohn erzählt, das Kind sei tot. Die Tochter will nicht aus der Kabine kommen. Der Stiefvater ist ein Schläger. Vier Jahre hat man nichts voneinander gehört. Es gab Schwierigkeiten mit dem Amt. Dann war die Abtreibung. Eine andere Mutter heult. Sie hat den gemeinen Exmann wieder geheiratet und die Tochter nicht eingeladen. Für Heiterkeit sorgen nur zwei alte Brüder aus Bremen, die seit einer Faschingsfeier nicht mehr miteinander reden. Bei Vera wollen sie auch nichts sagen, denn sie sind schweigsam und aus Norddeutschland. Auf der Faschingsfeier hatte einer der beiden eine bunte „Dingsmütze“ getragen, sein Bruder eine Schlafmütze. Mehr kriegt Vera nicht aus ihnen heraus.
Gerne nimmt man diese Information mit nach Hause. Als Vera dem Publikum „Danke und auf Wiedersehen“ sagt, winken einige Zuschauer in die Kameras. Hinter der Bühne umarmen sich Mutter und Tochter.
KIRSTEN KÜPPERS
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