: Sind noch Pistazien da?
Das Mädchen mit der phallischen Klarinette: Das Staatstheater Mainz hat Tim Staffels Stück „Titanic“ uraufgeführt
Ein schöner Ort für den Chill-out: eine Luftblase, die sich im Rumpf der gesunkenen Titanic gebildet hat. Es läuft angenehme Musik, die Vorräte reichen ebenso wie das Geschirr noch ein gutes Jahr, und von rechts schiebt sich ein niedlicher kleiner Eisberg in den Raum, der als Kühlschrank seinen Dienst tut.
Doch, es ist ein schöner Ort, in den sich Rabina (Sascha Icks) und Rubina (Sandra Fehmer), die Protagonistinnen in Tim Staffels jüngst in Mainz uraufgeführtem Stück „Titanic“, vor dem Ertrinken geflüchtet haben. Zwar flackert das Licht einige Male bedrohlich, zwar fällt das Atmen zuweilen schwer, zwar schleicht sich der beiderseits begehrte Rubien (Achim Conrad) immer wieder als ekler Zombie in die Träume der beiden (und in Rabinas eher schwer goutierbares Romanmanuskript) – aber, my heart will go on, die Grundstimmung ist die freundliche Anspannung desjenigen, der feststellt, dass das Warten ohnehin längst überflüssig geworden ist. Und überhaupt, sind noch Pistazien da?
Die Mainzer Dramaturgie hat die Nische für sich entdeckt, frühe Stücke mittlerweile etablierter Autoren zur Ur- beziehungsweise Erstaufführung zu bringen, Thomas Brussigs „Heimsuchung“ etwa oder Enda Walshs „Ginger Ale Boy“.
Auch „Titanic“ ist schon 1994 (also noch bevor sinkende Luxusdampfer mit Leonardo und Kate zu Pop werden konnten) entstanden, kurz nach Staffels Achtungserfolg „Das Mädchen mit dem Flammenwerfer“.
Es ist eine Petitesse eigentlich, in wenigen Tagen geschrieben, als Befreiungsschlag nach dem ungleich komplexeren Vorgänger. Noch recht traditionell arbeitete Staffel damals mit den Strukturen absurden Theaters, ohne die zerhackte Technostruktur, ohne die romantische Begeisterung für ein subversiv-urbanes Rotwelsch der Kleinkriminellen – und auch ohne den schwulen Machismo der späteren Texte, allen voran des Romans „Terrordrom“. Im Vergleich ist „Titanic“ zurückhaltend, ein Kammerspiel, eigentlich.
In Mainz, wo Regisseur Boris Dennulat das Stück im TIC, der Studiobühne des Staatstheaters, zeigt, ist es, mehr noch, ein Frauenstück. Was zum einen Fehmer und Icks geschuldet ist, die giggelnd und keifend dem Ersticken entgegenrasen und so von Anfang an alle Sympathien auf ihre Seite ziehen, zum anderen aber auch der Tatsache, dass die Figur des Rubien eigentlich eine Leerstelle umkreist. Das ist das Begehrte, das streng genommen gar nicht materialisiert werden dürfte – die phallisch aufgerichtete Klarinette (Rubien war Musiker im berühmten Bordorchester, das den Untergang stilecht begleitete) am Bühnenrand reichte im Verein mit den brodelnden Giftigkeiten der Protagonistinnen schon aus, das Namenlose zu benennen.
Gleichwohl, Rubien tritt auf, und Conrad tut alles, diese Auftritte möglichst abscheulich zu gestalten. Es hilft nichts: Das männliche Prinzip ist in „Titanic“ immer nur Projektion, am deutlichsten, wenn Rubina Rubiens Körper in einer zentralen Szene mit ihren Utta-Danella-Phrasen beschriftet.
„Titanic“ ist als Stück sicher kein großer Wurf, weil es auch in Passagen, wo es still sein sollte, immer noch weiterredet. Und Dennulat macht keine Regiesensation daraus. Er inszeniert ordentliches Texttheater, bieder manchmal, aber das tut nicht weh, weil er zwei Schauspielerinnen zur Verfügung hat, deren bloße Präsenz jede Volte ein Stück weiter in den Wahnsinn treibt. Dass das Stück sich über 90 Minuten ein wenig dehnt, mag man dabei weder Autor noch Regie vorwerfen: Gott, dann ist es eben kurz ein bisschen langweilig! Was soll man auch schon groß machen, wenn man alle Zeit der Welt hat und dabei so schön ist, dass man schreien möchte? FALK SCHREIBER
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