piwik no script img

Aussicht auf sauberes Wasser

aus Peking GEORG BLUME

Peking befindet sich angeblich im Ausnahmezustand. Knapp eine Million Menschen sollen in den vergangenen Tagen Bürgersteige und Straßen geputzt haben. Zehntausende sollen am kommenden Samstag beim Fahrradkorso über den Tiananmenplatz radeln. So berichten Medien in aller Welt – doch ohne Bilder. Wer hat die Massen je auf der Straße gesehen?

„Von der Austragung der Olympischen Spiele träumen nicht nur die Pekinger, sondern 1,3 Milliarden Chinesen“, posaunt die Parteizeitung China Daily. Anlass für die großen Töne gibt der Besuch einer Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Peking, die ab heute die Bewerbung der Stadt für die Olympischen Spiele im Jahr 2008 prüfen soll.

Noch ist Peking Favorit. Die Vorbereitung gilt als perfekt, Stadien und Sporthallen sind bereits ausgemessen – wie schon bei der ersten Bewerbung im Jahr 1993 für Olympia 2000. Auch damals war Peking Favorit, verlor aber bei der Endabstimmung in der IOC-Vollversammlung mit zwei Stimmen gegen Sydney.

Aller Parteipropaganda zum Trotz würde es viele Chinesen nicht verwundern, sollte es China in diesem Jahr genauso ergehen. Sie sind den sportlichen Verliererstatus gewohnt – vor allem im Fußball. Als sich die Nationalmannschaft nicht für die Fußballweltmeisterschaft in Frankreich (1998) qualifizieren konnte, erzählten sich die Chinesen einen Witz: Ein Japaner und ein Koreaner gehen zum Buddha und fragen, wann ihr Land Fußballweltmeister wird. Als der Buddha zwei ferne Jahreszahlen nennt, kommen beide weinend nach Hause. Dann geht ein Chinese zum Buddha und stellt für sein Land die gleiche Frage. Da beginnt der Buddha zu weinen.

Parteikommunisten aber glauben nicht an Buddha. Sie wollen ein Sportspektakel herbeizaubern, das ihrer Regentschaft ein vom Datum her klares und in der Sache vages Ziel verschafft. „Es gibt einen losen Zusammenhang zwischen der Olympiabewerbung und der ideologischen Orientierungslosigkeit in der Partei“, sagt Shang Dewen, ein emeritierter Professor für Marxismus. „In einer Zeit, in der sich die Bevölkerung von der Ideologie abwendet und sich vor allem für ein gutes Leben interessiert, kann zumindest die Olympiapropaganda ein gewisses Publikum erreichen.“

Dafür scheut die Partei keine Mühen. Vergangene Woche wurde westlichen Journalisten erlaubt, die Pekinger Zentrale für Verkehrskontrolle und ein Klärwerk der Stadt zu besichtigen. Es war ein Testbesuch mit Ausländern vor dem Eintreffen der IOC-Inspekteure. Der Klärwerksdirektor versicherte den Journalisten, dass die olympischen Athleten 2008 mit sauberem Wasser in der Stadt rechnen könnten.

In diesem Sinne sind die Pekinger sehr wohl olympiabegeistert: Sie hoffen auf sauberes Wasser und gute Luft. Ihre Stadt zählt seit Jahren zu den verdrecktesten Metropolen der Welt. Nun verspricht Bürgermeister Liu Qi ein „grünes Olympia“. „Die Beschleunigung des Umweltschutzes und die Verbesserung der Lebensbedingungen wären für die Pekinger ein olympisches Vermächtnis“, prophezeit Liu.

Tatsächlich ist die Luft in Peking in diesem Winter deutlich sauberer als in den Jahren zuvor – angeblich aufgrund der „frühzeitigen Einlösung festgesetzter Ziele“ (Liu). Ursachen sind die Umstellung von Kohle auf Gas und die Schließung von Fabriken. Dadurch entsteht jedoch Arbeitslosigkeit. Selbst die Nachrichtenagentur Xinhua musste gestern einräumen, dass Olympiagegner der Parteiführung raten, die Arbeitslosigkeit wichtiger als den Sport zu nehmen.

Ganz anders stellt sich die Olympiabewerbung von Unternehmerseite da. „Ich unterstütze die Bewerbung voll und ganz“, sagt Zhang Rongming, ein Unternehmer, der in Peking modische Frauenunterwäsche herstellt. Seine Selbstsicherheit verrät, welcher Geist China ins olympische Abenteuer treibt: „Unsere Wirtschaft wird mit Olympia ein neues Niveau erreichen, und wir Privatunternehmer werden davon am meisten profitieren“, frohlockt der Selfmade-Mann.

Hier sehen auch viele Intellektuelle den Zweck der Veranstaltung. „Wie der bevorstehende chinesische Beitritt in die Welthandelsorganisation ist die Olympiabewerbung ein strategischer Schritt zur Integration Chinas in die internationale Gesellschaft“, analysiert der Marxist Shang. Nicht einmal knallharte Kritiker des Pekinger KP-Regimes lehnen die Olympiabewerbung grundsätzlich ab. „Auch wir bedauern, dass noch keine Stadt unseres so großen Landes je die Olympischen Spiele ausgetragen hat“, schreiben Angehörige von Dissidenten in einem von der Menschenrechtsorganisation Human Rights in China (HriC) veröffentlichen Brief an das IOC.

Allerdings raten die Regimekritiker dem IOC, seine Zustimmung an Bedingungen zu knüpfen, die eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China in Aussicht stellen. So empfiehlt Sophia Woodman von HRiC, darauf zu achten, dass die Pekinger Polizei aus sportlichem Anlass nicht zu Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung greift. Bei großen Anlässen wie zuletzt dem 50. Gründungstag der Volksrepublik wurden hunderttausende von Wanderarbeitern aus Peking vertrieben – und zum Teil willkürlich in Auffanglagern eingesperrt. Auch solche Erfahrungen haben den Pekingern in der Vergangenheit die Begeisterungsfähigkeit für Großveranstaltungen ausgetrieben. Schon jetzt gibt es Stimmen in der Bevölkerung, deren Wort mehr zählt als jede Propagandakampagne, die sich vorsichtig von Olympia distanzieren. „Von Enthusiasmus habe ich bisher nichts gespürt“, wundert sich Cui Jian, Chinas bekannter Rockstar. Der Musiker kehrte kürzlich von einer Europatournee zurück. Doch er fand seine Heimatstadt Peking unverändert. Plakate, Fähnchen und Plastikblumen, wie sie derzeit die Ausfallstraßen zieren, können ihn nicht beeindrucken.

Westliche Medien haben Pekings künstlich erzeugte Olympiahysterie in den letzten Tagen umgehend zur Realität erklärt, weil sie ganz prima ins kampagnenbewegte Bild des alten, maoistischen Chinas passt. Doch falsche Siege haben die Pekinger schon zu oft gefeiert. „Die übertriebenen Begrüßungsaktionen für die IOC-Vertreter zeugen von einem Mangel an Selbstbewusstsein“, konstatiert Liu Hongying, eine junge Pekinger Unternehmerin im Modegeschäft. „Falls wir Olympia wirklich bekommen, muss sich unsere Stadt noch mächtig verändern. In sieben Jahren wird Rom immer noch Rom sein, aber Peking vielleicht nicht mehr Peking.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen