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Am Ende immer nur Kästner

von THOMAS WINKLER

Schlussendlich hängt's am Geld. Immer. Auch beim Kinderfilm. Regisseure und Redakteurinnen, Produzentinnen und Autoren diskutieren über Stoffentwicklung: Vom Kinderbuch zum Kinderfilm. Warum erscheinen einerseits in Deutschland viele, auch erfolgreiche Kinderbücher? Und warum kommen so wenige deutsche Kinderfilme ins Kino? Diesen Fragen wird nachgegangen beim 5. Fachgespräch im Rahmen des Kinderfilmfestes der letzten Berlinale. Doch schließlich landen die Diskussionsteilnehmer doch wieder beim Geld. Von dem gibt es immer zu wenig: nicht nur, aber vor allem für den Kinderfilm.

Für „Emil und die Detektive“ war Geld da. 9,5 Millionen Mark. Für noch eine Kästner-Verfilmung scheint immer Geld da zu sein. Das ist so, weil Produzenten versuchen, ihr Risiko zu minimieren. Also machen sie, womit andere Produzenten vor ihnen bereits Erfolg hatten. Der neue „Emil“ ist die nunmehr fünfte Umsetzung des 73 Jahre alten Romans. Etwa 25 Kästner-Verfilmungen gibt es insgesamt. 9,5 Millionen Mark sind ein exorbitantes Budget für einen Kinderfilm, erst recht für einen ausschließlich in Deutschland produzierten. Heute kommt „Emil“ in die Kinos und trägt eine Verantwortung. Floppt er an der Kinokasse, wird es auf absehbare Zeit wohl kaum wieder so viel Geld für einen Kinderfilm geben.

Es gibt keine Filme für Kinder oder Erwachsene – es gibt nur gute oder schlechte Filme, sagen die Produzenten. Gemeint aber ist: Es gibt Filme, die ihr Geld wieder einspielen, und Filme, die das nicht tun. Kinderfilme spielen ihr Geld nur sehr selten ein. Das hat viele Gründe: Die Verbannung in die Nachmittagsschienen der Kinos, zu kleine Werbeetats, und nur wenige Film sind universell und sprechen auch ein Publikum außerhalb des Entstehungslandes an. Letzteres macht es nicht nur schwierig, den Film ins Ausland zu verkaufen, sondern auch, ausländisches Kapital zu akquirieren.

Trotzdem entstehen immer wieder gute – und erfolgreiche – Filme für Kinder. Nur: Diese Filme stammen selten aus Deutschland. Die Amerikaner machen es seit Jahren vor, allen voran Disney. Das Zauberwort heißt Family Entertainment: Filme, die für Kinder konzipiert sind, aber in denen sich Eltern nicht notgedrungen langweilen. Die amerikanischen Majors sehen Kinder als Marktfaktor und bewerben die Filme für diese Zielgruppe genauso intensiv wie eine romantische Komödie. Deutsche Produzenten dagegen sehen Kinder als unkalkulierbare Zielgruppe. „Kinder werden als Minderheit oder Randgruppe gesehen“, sagt Margret Albers, Vorstandssprecherin des Fördervereins Deutscher Kinderfilm und Leiterin des Geraer Kinderfilmfestivals „Goldener Spatz“. Zudem verteuern Kinderschauspieler die Produktionskosten um geschätzte 30 Prozent, weil sie nur drei Stunden täglich arbeiten dürfen.

Aber nicht nur in den USA sind Kinder eine umworbene Zielgruppe für das Kino. In kleineren europäischen Ländern, traditionell vor allem in den skandinavischen, hat der Kinderfilm nicht nur eine reichere Tradition, sondern auch eine gesündere Gegenwart. Das liegt zum Teil an speziellen Förderungen, zum Teil daran, dass die wenigen Mittel zentral verteilt werden – im Gegensatz zur Bundesrepublik, deren föderale Förderstruktur Kinderfilme benachteiligt. Aber prinzipiell wären ausreichend Fördermittel vorhanden, sie sollten nur besser verteilt werden, so Albers, die das mit ihrem Förderverein demnächst ändern will.

Allerdings: Die skandinavischen Kinderfilme sind meist auch besser. Renate Zylla, Leiterin des Kinderfilmfestes der Berlinale, hätte manches Jahr am liebsten keinen deutschen Film eingeladen. „Im Verhältnis zu internationalen Produktionen“, sagt sie, „vermisse ich oft handwerkliche und künstlerische Qualität.“ In Dänemark oder auch im für seine engagierten Kinderfilme berühmten Iran drehen eben auch etablierte Regisseure Kinderfilme. Hierzulande scheuen erfahrene Filmarbeiter das Genre, weil, so Margret Albers, „der Glamour fehlt“. Aber auch aus Angst, festgelegt zu werden: Dreht man heute einen Kinderfilm, bekommt man nur noch selten andere Stoffe angeboten. Als Folge dieser Stigmatisierung tummeln sich beim Kinderfilm überproportional viele Anfänger und Gescheiterte, wird oft nicht sorgfältig genug gearbeitet. Auch in „Emil und die Detektive“ finden sich einige profane Anschlussfehler. Zylla vermisst „motivierte Produzenten und Regisseure mit einem Anliegen, die eine Geschichte für dieses Publikum erzählen wollen“. Ein weiteres Indiz für das geringe Ansehen des Kinderfilms: Wie auch in anderen, schlechter gestellten Berufsgruppen mit unterdurchschnittlicher Bezahlung ist auch beim Kinderfilm der Frauenanteil überproportional hoch.

Aber es gäbe ausreichend Kinderfilme, zumindest ausländische. Die kommen allerdings nie in die Kinos. Denn die meisten Filmverleiher können sich nicht überwinden, die Synchronisation zu finanzieren.Und: Der Erfolg eines Films entscheidet sich schon am Startwochenende – mehr als zwei Wochen laufen nur die wenigsten Werke. Das ist besonders problematisch für Kinderfilme, die nur im Nachmittagsprogramm oder sogar nur am Wochenende gezeigt werden können und somit eine längere Anlaufzeit benötigen. „Es fehlt an professioneller Vermarktung“, beklagt Renate Zylla.

Schlussendlich hängt's also am Geld. Beim Berlinale-Fachgespräch gab eine Produzentin freimütig zu, Kinderfilmdrehbücher mit einem historischen oder Fantasy-Thema erst gar nicht zu lesen: Die Produktionskosten seien zu hoch. Aber muss das so sein? Sollte sich ein Land, ein reiches zudem, es sich nicht etwas kosten lassen, für seine Kinder gute Filme zu drehen? Oder zumindest die vorhandenen guten ins Kino zu bringen? Die Filmbranche wünscht sich etwa mehr Steuererleichterungen für Kinos und Verleiher, die sich um Kinderfilme kümmern. Die sollen, so Margret Albers, irgendwann einmal zu einer „Selbstverständlichkeit“ im Umgang mit dem Kinderfilm führen.

In den letzten Jahren hat sich da einiges getan. Albers glaubt, eine „leichte Aufbruchstimmung“ bemerkt zu haben. Filmhochschulen bieten mittlerweile Workshops zur Stoffentwicklung für Kinderfilme an, und erst unlängst hat sich mal wieder ein kleiner Verleih gegründet, der ausschließlich Filme für ein junges Publikum vertreiben will. Allein schon die Existenz des Kinderkanals hat eine größere Nachfrage bewirkt. Und im Vergleich zu Nachbarn wie Frankreich schneidet der deutsche Kinderfilm gar nicht mal so schlecht ab.

Tatsache aber bleibt: Kinder haben in diesem Land keine Lobby, und das kann man im Kino sehen. Dass die Kinder von heute die Erwachsenen von morgen sind, hat die Filmwirtschaft noch nicht verinnerlicht. Und wer ausschließlich mit Hollywood-Ästhetik aufwächst, wird die auch später sehen wollen. So bevorzugen heute bereits Zwölfjährige Filme, die für Erwachsene gemacht sind. „Eigentlich“, so Margret Albers, „ist ,Titanic` der erfolgreichste Kinderfilm aller Zeiten.“

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