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Puder im Tank

Die vielen Spiele der Erwachsenen und ein Cover von Choderlos de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“: Ein Porträt des Choreografen Martin Stiefermann und seiner Tanzcompagnie MS Schrittmacher

von JANA SITTNICK

Zum Abschluss der Morgentoilette läuft der Comte de Valmont an seinen Spalier stehenden Dienern vorbei, die Unmengen Puder in die Luft werfen. Nachdem das Zeug auf ihn herabgerieselt ist, verlässt der Comte das Haus, um Intrigen zu spinnen. Die „Gefährlichen Liebschaften“, verpackt in den barocken, grandios verfilmten Sittenroman von Choderlos de Laclos, führen vor, wie das „Noblesse oblige“ zum Identifikationsmuster einer Klasse wird. Denn der politisch ohnmächtige Hofadel des Ancien Régime lebt nur noch von der Geste – er spielt, sublimiert und repräsentiert.

Martin Stiefermann kennt die Geschichte von Valmont, der Marquise und ihrer Intrige fast auswendig. „Ich liebe das Buch und den Film von Stephen Frears. Aber ich werde die Geschichte nicht nacherzählen, das geht gar nicht.“ Der Choreograf fragmentiert die Erzählung und überträgt einzelne Motive in die Bewegungssprache seines neuen Stückes. „Trau schau wem“ läuft im Rahmen eines dreiteiligen Programms der Stiefermann-Kompanie „MS Schrittmacher“, das auch Arbeiten der Gruppenmitglieder Aleksey Schoettle und Andreas J. Etter vorstellt. Etter und der Videokünstler Thorsten Ahlich zeigen im ersten Teil „Konservierte Bewegtbildminiaturen“. An Monitoren wählt der Zuschauer zwischen fünf Tanzkanälen. Dann tanzt Aleksey Schoettle ihr Solo „Wie Waldi“. Sie bewegt sich in vier Situationen, vier Stimmungen und vier Identitäten, deren Komplexität über den Videoscreen einsichtig wird.

Im dritten Teil zeigt Stiefermann das Spiel vor und hinter den Masken des Begehrens, ein geschickt eingefädeltes Spiel, das außer Kontrolle gerät und eskaliert. „Was mich hier interessiert, ist die Frage: Wie schenkt man Vertrauen, wie bricht man Vertrauen? Was passiert mit uns, wenn wir uns jemandem öffnen, den wir gar nicht kennen? Hält diese Person eine Rose oder ein Messer hinter dem Rücken versteckt? Wir wissen es nicht“.

In den Stücken des 33-Jährigen geht es um die Spiele, die „wir Menschen so miteinander treiben“. Erotische Spiele, Machtspiele, Psychospiele. „Spiele der Erwachsenen“, das Stück, mit dem Stiefermann und MS Schrittmacher vor eineinhalb Jahren hoch gelobt wurden, demontiert Verhaltensmuster und ironisiert Rituale des Alltags. Sieben Tanztheaterstücke produzierten Stiefermann und MS Schrittmacher zwischen 1998 und 2001, die letzten beiden erhielten Fördergelder. Als freier Choreograf ist man finanziell nicht gesichert, doch man bleibt flexibel. „An einem großen Theaterhaus kannst du nicht schnell mal zu einem Gastspiel nach Frankreich fahren oder andere Gruppen einladen. Der Spielplan ist zwei bis drei Jahre im Voraus festgelegt. Du hast Abonnenten, die wissen wollen, ob sie mittwochs ,Romeo und Julia` sehen oder ,Maske in Blau`.“

Martin Stiefermann tanzte fünf Jahre beim Ballett der Hamburger Staatsoper. Mit sechzehn, als er die klassische Tanzausbildung begann, war ihm klar, dass er lieber „selber machen wollte“. Nach der Hamburger Zeit choreografierte er in der freien Szene, dann ging er als Ballettdirektor an die Landesbühnen Kiel. Seit 1998 wohnt er fest in Berlin und arbeitet mit seiner Truppe MS Schrittmacher, deren Tänzer ihm aus Kiel nach Berlin folgten. Seit diesem Jahr ist Stiefermann Tanzleiter des Staatstheaters Oldenburg und bleibt zugleich „frei“ in Berlin.

Er probt den Spagat zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Theaterarbeit. „Ich hoffe, dass das Modell Berlin-Oldenburg gelingt. Das ist neu, das hat noch niemand versucht. MS Schrittmacher arbeitet weiterhin wie eine freie Gruppe, mit Senatsförderung, und ist zugleich eingebunden in den Betrieb eines Staatstheaters mit festem Ensemble. So können wir vier neue Produktionen und zwei Wiederaufnahmen zeigen, in Berlin und Oldenburg.“

Der Workaholic mag es nicht, wenn man ihn Workaholic nennt. Das klingt zu sehr nach Festlegung. Er weiß, dass seine Arbeit oft selbst ausbeutend ist. „Ich habe noch nie regelmäßig von zehn bis achtzehn Uhr gearbeitet, ich glaube, das kann ich gar nicht. Bei den Endproben arbeiten wir den ganzen Tag, und wenn die Technik ausfällt, auch bis morgens um vier. Dann bleibt vieles auf der Strecke.“ Für sein neues Stück probte er nur sechs Wochen. „Es war wie Pingpongspielen. Die Ideen flogen von einem zum anderen, und schon war das Stück fertig. Das hat Spaß gemacht.“ Keiner der Tänzer (Annette Lopez-Leal, Anja Kursawe, Francesca Peniguel, Michael Langeneckert) gehört zur Kompanie, „doch alle waren schnell im Boot und wussten, worum es geht.“

„Trau schau wem“ funktioniert als mediales Crossover. Thorsten Ahlich und Andreas J. Etter mischen live eingespieltes Videomaterial zu Stiefermanns Tanzbildern, schicken es über Monitore in den Raum und verbinden Computerspiele mit den Bewegungen der vier Tänzer. „Viele Momente des Stückes erklären sich aus den Videobildern“, sagt Martin Stiefermann, „deshalb nennen wir es Tanztelevision.“

Hinter dem Zeitgemäßen scheint barocke Opulenz hervor, wenn die Tänzer ihre Krinolinkostüme tragen. Vielleicht fliegt auch Puder durch die Luft.

„Wie Waldi/Trau schau wem/Konservierte Bewegtbildminiaturen“: 23. Februar bis 28. Februar und 2. März. bis 4. März, jeweils 20.30 Uhr im Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg

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