: Einiges ist gleich geblieben
betr.: „Wider die Vergessenheit“, taz-mag vom 18. 2. 01
Als 1975 Geborener verfolge ich mit Interesse die derzeit laufende Vergangenheitsbewältigung der 68er ff. Als Mitglied des Bundesvorstands der grün-alternativen Hochschulgruppen weiß ich, dass die Koordinaten der hochschulpolitischen Landschaft sich seit den 70ern deutlich verschoben haben. Statt Demokratie und Meinungsäußerung steht inzwischen die Wirtschaft im Mittelpunkt. Einiges aber ist gleich geblieben, leider.
In ihrem Aufruf „Wider die Vergessenheit!“ geht Rosemarie Nünning auch auf die damaligen Klagewelle des RCDS gegen das von den ASten wahrgenommene politische Mandat ein. Seit einigen Jahren ist es wieder so – auch wenn die Koordinaten der Hochschulpolitik sich verschoben haben. Jetzt sind es nicht mehr Solidaritätserklärungen mit Revolutionen, sondern ZeitzeugInnen-Gespräche mit Überlebenden des Holocaust, Rassismus an Hochschulen, Anti-NPD-Demonstrationen oder die Förderung der Teilnahme an den kubanischen Weltfestspielen der Jugend, die nach Ansicht der Gerichte die Kompetenzen der Studierendenvertretungen überschreiten. Die KlägerInnen kommen jetzt nicht unbedingt mehr aus den Reihen des RCDS, sondern durchaus auch von weiter rechts, etwa aus dem Hochschulverband der Reps.
Was hat das mit den bleierenen Verhältnissen vor 25 Jahren zu tun? Die Gesellschaft ist offener und demokratischer geworden, keine Frage. Die StraßenkämpferInnen der 70er-Jahre haben jetzt die Chance, in den Parlamenten und Regierungen die letzten Überbleibsel der altdeutschen Bleifenster durch modernere Materialien zu ersetzen – zum Beispiel, indem die verfasste Studierendenschaft im Hochschulrahmengesetz verankert wird und indem den Studierendenvertretungen endlich auch juristisch das politische Mandat eingeräumt wird. Oder müssen wir erst auf die Straße gehen? TILL WESTERMAYER, Freiburg
„Wider die Vergessenheit“, war dieser Titel ernst gemeint? Sollten wir nicht besser der abgetakelten Opposition die Siebzigerjahre zur Wiederaufbereitung überlassen und uns mit der Gegenwart auseinandersetzen? Dass sich die Linke jahrelang eine Diskussion um den Mescalero-Artikel aufdrängen ließ, war schon ein Zeichen von Stagnation.
Mich stört, wie in dem Text von R. Nünning, von „bürgerkriegsähnlichen“ Einsätzen des BGS gesprochen wird im Zusammenhang mit dem „deutschen Herbst“. Die damalige BRD war nicht Chile. Der gut ausgerüstete Bundesgrenzschutz hat seinerzeit nicht geschossen und wird in diesen Tagen gegen Neonazis eingesetzt, was sehr vernünftig ist. Die Zeiten ändern sich.
DORIS KALVERAM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen