: Der Geist von AOL
■ Bremen wird mit Spielzeug beglückt: Damit Computerkinder gesunde Rücken haben
„AOL ist das Internet. Mein Onkel hat auch Internet, da war ich auch schon drin, so zwei mal. Aber ich mach' jeden Abend Sport, von sechs bis sieben, und Fußball spiel' ich auch!“ Ozan ist zehn und tut das, was von ihm erwartet wird: Er bewegt sich, und das nicht zu knapp. Außer ihm toben in der Turnhalle der Grundschule Ellenerbrokweg noch 50 andere Stöpsel umher und mit ihnen fliegen zwei Tonnen voll Spielzeug durch die Luft.
Gestiftet wurden die Bälle, Frisbeescheiben, Balancetücher und andere undefinierbare Plastikdinger mit dem Antlitz einer Kreuzung aus Schildkröte und Skateboard von Boris Becker und AOL. Mit dieser „Materialhilfe“ könne das Projekt der „bewegten Schule“ umgesetzt werden, sagt der Bremer Oberschulrat Christian Hannig. Die Kinder heutzutage würden sich viel zu wenig bewegen. Zum Beispiel würden sie von der Schule abgeholt werden, anstatt zu laufen oder Fahrrad zu fahren.
Und vor dem Rechner hängen. Als Ausgleich für diese Verführung Minderjähriger zur körperlichen Untätigkeit haben sich Boris Be-cker und AOL die Aktion Spielzeug ausgedacht. Das bunte Zeug soll jetzt an 25 Grundschulen und 35 Orientierungsstufen die Kids dazu ermuntern, sich in Pausen und Freistunden fit zu halten und zu spielen. Unter Anleitung von geschulten LehrerInnen, erklärt Hannig, „sonst gibt das Chaos“.
Bildungssenator Willi Lemke, der zum feierlichen Anstich der zwei roten Mülltonnen in die Osterholzer Grundschule geeilt ist, unterbricht das Chaos, das in der Turnhalle ausgebrochen ist, für einen Moment. Damit die Pressegeschichte schnell über die Bühne geht, halten die Kinder in ihren wilden Wurfspielen inne und versammeln sich andächtig vor Onkel Willi, der ihnen erzählt, wie ihm Onkel Boris ein Angebot gemacht hat.
Seitdem gehört auch Bremen zu den zehn Städten, die mit Spielsachen im Wert von 3000 Mark beglückt wurden, ohne – wie Schulrat Hannig versichert – als Gegenleistung AOL-Software flächende-ckend in den Schule installieren zu müssen. Immerhin ist die Turnhalle mit AOL-Plakaten gepflastert, aber von denen sind die Kinder ebensowenig zu beeindrucken wie von Werder-Bremen-Star Juri Maximow, der auch etwas dazu sagen soll, wie wichtig Bewegung für Kinder ist.
Alexandra (10) und Jennifer (11) haben keine Ahnung, wer oder was AOL sein soll, finden aber das Springseil gut. Auch Jessica (9) hat noch nie was davon gehört, dafür Vivien (8) und Akosua. Klare Sache, AOL, „das ist Internet!“ Akosua (6) überlegt, ob sie nicht schon einmal allein dadrin rumgegangen wären, was von Vivien energisch zurückgewiesen wird: „Da kann man doch nicht rein!“
Leider ist Boris Becker nicht da, um sie eines Besseren zu belehren, sondern nur ein Agentur-Onkel, der für Boris diese sogenannte „Fit for Future“-Aktion vertritt. Herr Meier findet die Spielsachen auch wichtig, „um Toleranz und Teamgeist zu entwickeln“, woraufhin die Kleinen bedächtig nicken. Während seiner Worte an die Presse übersetzen sie wohl gerade noch die Begriffe „fit“, „for“ und „future“, um sich dann den Teamgeist vorzustellen, der jetzt immer über der Turnhalle schweben wird, wenn sie mit dem „Euter“ – ein Ball mit Griffen – Koordinationsübungen machen.
Eiken Bruhn
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