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Vorliebe für Wahnwitziges

■ Irm Hermann spielt in Werner Schwabs „Volksvernichtung“ am Schauspielhaus mit. Mit der Fassbinder-Heroin sprachen wir – zumindest nicht nur über Fassbinder ...

taz: Schön, hier mal Bayerisch zu hören.

Irm Hermann: Wegen meines Münchener Anklangs wurde ich hier schon manchmal mit Christiane Hörbiger verwechselt.

Igitt.

Nein gar nicht.

Sie sollen hier beim Joggen gesichtet worden sein.

Im Bürgerpark. Ich jogge seit ich 30 bin. Und obwohl ich meine Strickmütze tief ins Gesicht ziehe, sprechen mich die Leute an: Ach, Sie waren doch die Haushälterin von Professor Capellari.

In „Volksvernichtung“ spielen sie Frau Grollfreuer, diese arrogante, kalte Person, die am Ende Nr. 1 – es gibt auch ein Ende Nr. 2 – ihre ganzen Mitbewohner vergiftet. Vor genau 30 Jahren, 1971, gab es schon einmal ein Stück über eine Giftmörderin am Bremer Theater. Es war die Uraufführung von Fassbinders „Bremer Freiheit“ über den authentischen Bremer Fall der Geesche Gottfried, die dann 1831 gehängt wurde.

Damals spielte Margit Carstensen die Geesche. Ich wäre damals für die Rolle noch zu jung gewesen.

Gibt es Parallelen zwischen diesen rabiat-gesellschaftskritischen Stücken der 60er/70er Jahre und dem heutigen Elendstheater?

Vielleicht. Im Übrigen starben Schwab und Fassbinder im gleichen Alter, mit 37. Die haben beide gebrannt. Werner Schwab – ich habe ihn leider nicht kennen gelernt – hat sein Leben im Alkohol ertränkt. Es war eine Neujahrsnacht.

Von Werner Schwab gibt es diese brachiale sprachphilosophische Metapher: „Die Sprache zerrt die Personen hinter sich her wie Blechbüchsen an einem Hundeschwanz.“ Seine Figuren konstruierte er als „akustische Masken ohne Gesicht“. Diese verordnete Gesichtslosigkeit stellt für den Schauspieler wohl ein gewisses Problem dar.

Nein, überhaupt nicht. Diese Sprachmaske ist gerade das Interessante. Sie bietet dem Schauspieler ein Gerüst, nicht viel anders als die formalisierte Sprache bei Klassikern wie Goethe, Schiller und Shakespeare. Schwabs Sprache ist stark.

Darüber hinaus ist sie blutig. Wie bei Francis Bacon wird das Innere nach außen gestülpt. Organe werden kleine Ichs. Schlägt das aufs Gemüt?

Ja schon. Ich habe mir auch gründlich überlegt, ob ich das machen soll. Frau Grollfeuer ist von Hass durchdrungen, das ist schon heftig, eine wahnwitzige Rolle.

Man schläft schlecht?

Man schläft vor jeder Premiere schlecht.

Manche behaupten, Nervosität sei angenehm.

Zu denen gehöre ich nicht. Ich bin ja auch mehr eine Filmschauspielerin.

Sie haben am Schluss einen ewig langen Monolog. Der Traum oder der Alptraum jedes Schauspielers?

Beides. Eine Herausforderung. Die ganze Rolle ist eine Herausforderung.

Wenn man böse wäre, könnte man sagen, dass Sie als Grollfeuer noch immer nahe am Fassbinderklischee der strengen, stolzen, verklemmten, extravaganten Exaltierten besetzt wurden.

Bei Fassbinder spielte ich meist die kleinen, unbewussten Hausfrauen, die nach links und rechts gebissen haben, und zwar aus purem Unvermögen. Jene Menschen also, die die Grollfeuer verabscheut, Menschen, die nicht denken und in ihrem Fleisch und ihren Sinnesorganen stecken bleiben.

Im TV waren Sie dagegen viel in Komödien zu sehen.

Ich bin ja auch eine Komödiantin. Und auch Schwabs Stück ist eine Komödie, eine Radikalkomödie.

Vom TV sind sie allgemein bekannt...

...wobei ich selbst eigentlich selten TV gucke.

Big Brother, Millionen-Quiz...

... Girls Camp, alles nicht gesehen. Das mag ich nicht. Ich gehe lieber ins Kino. Dagegen ist vieles, was man im Theater sieht, nicht besonders neu und aufregend.

Sie selbst spielen – neben Schiller und Shakespeare – gerne Neues: Bernard-Marie Koltes' „Dumpfe Stimme“ oder Jörg-Michael Koerbls „Neues Deutschland“.

Ich bin sehr aufgeschlossen. Ich werde nicht umsonst von Leuten wie Schlingensief besetzt. Nach meinem Bremen-Gastspiel mache ich etwas ganz Wahnwitziges – ich mache oft Wahnwitziges – von Jane Bowles ein sehr dekadentes Stück, „Im Gartenhaus“ mit Angela Winkler, ganz ohne Gage, mit einem jungen, interessanten Regisseur. Es gibt eben immer wieder Menschen, die sind so außergewöhnlich, dass man ihnen nichts abschlagen kann, wie auch dem Schlingensief nicht.

Sie demonstrierten in den 60ern eifrig mit und waren auch bei der Besetzung des Springerhochhauses dabei. Vor zwei Jahren begleiteten sie Schlingensief auf seiner Reise nach Makedonien und in den Kosovo. Hat Schlingensief diesen alten Antitheater- und Action-Theater-Geist wiedererweckt?

Ja. Aber es ist kein alter Geist, sondern ein neuer, es ist Aufbruch, Erneuerung, Anarchie – und all das liebe ich. Das alte Denken muss auseinander genommen werden. Auch wenn Schlingensief manchmal als Politclown daherkommt, sagt und tut er immer wichtige Sachen. Er hat auch schnell erkannt, dass „Chance 2000“ keine Partei werden darf und er kein Politiker werden will, denn eine Partei neigt zur Verkarstung.

Die Kosovoreise soll den Theaterbetrieb an der Volksbühne gefährdet haben.

Nein. Das Stück „Berliner Republik“ war von Anfang an im Fluss. Die zweite Aufführung zum Beispiel haben wir von rückwärts nach vorn gespielt. Als das Kosovoproblem an Aktualität gewann, wurde Schlingensief schnell klar, dass wir Flüchtlinge holen müssen, viele Flüchtlinge, um ihnen im Theater Asyl zu gewähren. Ich war begeis-tert und flog von München aus, wo ich in „Sekretärinnen“ spielte, mit. In dieser Zeit war sowieso keine Vorstellung der „Berliner Republik“. Als wir zurückkamen, wollten wir nach unseren Erfahrungen in den Flüchtlingslagern nicht einfach weiterspielen als wäre nichts gewesen, so wie es im klassischen Stadttheaterbetrieb üblich ist. Wir tun ja alle so, als gäbe es das Elend nicht, und machen einfach so weiter. Theater ist nicht flexibel. Das ist im Film ganz anders. Wenn du drehst, trägst du dein aktuelles Bewusstsein mit in deine Rolle rein. Im Theater dagegen spielst du im Herbst ein Stück genauso wie du es im Frühjahr geprobt hast. Schlingensief wollte das nicht. Er hat das Stück neu gestaltet und ein Flüchtlingszelt auf die Bühne gestellt.

Auch Fassbinder reagierte auf die Politik des Tages...

Zum Beispiel 1967 mit dem Stück „Axel Cesar Springer“ im Münchener Action-Theater. Am Ende haben wir die Zuschauer mit Feuerwehrschläuchen voll gespritzt.

Wie erleben Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle 68er Schelte?

Als bösartig. Eine Krähe hackt der anderen ein Auge aus. Die Kohl-Ära hat uns einen Riesenberg Schulden hinterlassen, den wir jetzt abtragen müssen. Am schlimmsten finde ich, wenn an der Kultur gespart wird. Kultur ist notwendig – sie ist das Salz in der Suppe.

Fragen: bk

Premiere von „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“: 1. März, 20 Uhr, Schauspielhaus

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