: „We are trying to be there“
■ Der Bremer Solidaritätspreis geht an ein Waisen-Projekt in Burundi / Persönliche Zuwendung wichtiger als Expertentum
„This is my fight“ sagt Marguerite Barankitse aus Burundi und sieht so wenig danach aus, als würde sie ihr Leben und ihre Arbeit mit verwaisten und an Körper und Seele misshandelten Kindern als „Kampf“ verstehen. Sie ist 45, bunt gewandet, herzlich, humorvoll und intelligent. Steife NordeuropäerInnen haut sie mit ihrer beeindru-ckenden Persönlichkeit aus den Schuhen, beziehungsweise bringt sie auf die Füße.
„Ich bin es eigentlich gewohnt, mit Kindern umzugehen und keine Dankesreden zu halten“, sagte sie vorgestern Abend in der Oberen Rathaushalle und forderte prompt die Gäste wie eine Schulklasse dazu auf, sich zu erheben, an den Händen zu fassen und gemeinsam ein französisches Kinderlied zu singen. Niemand konnte sich entziehen, auch nicht der burundische Botschafter. Der hatte überraschenderweise die Einladung zur Verleihung des Bremer Solidaritätspreises an die Tutsi Barankitse und die Hutu Melanie Ntahongendera angenommen. Während der Laudatio der Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium, Ursula Eid, musste er sich ungewöhnlich deutliche Worte über die Zustände in Burundi anhören.
Die beiden vom Senat mit 10.000 Mark ausgezeichneten Frauen betreuen in dem von Barankitse 1993 gegründeten „Maison Shalom“ Kinder und Jugendliche, die durch die gewaltsamen Konflikte zwischen der Tutsi-dominierten Regierung und Hutu-Rebellen ihre Familie verloren haben. Dort sollen die Kinder lernen, dass sie eine Zukunft haben, erklärt Barankitse. Das „Maison“ sei kein Waisenhaus im üblichen Sinne, sondern „only transit“ – wenn die Kinder dazu bereit sind, versuchen die MitarbeiterInnen Angehörige zu finden oder Adoptiveltern.
Die Kinder sind zum Teil schwer traumatisiert, wurden gefoltert, verstümmelt, vergewaltigt. „Es ist schwierig, einem durch eine Vergewaltigung schwanger gewordenen Mädchen zu vermitteln, dass sie ein Recht auf Glück hat“, sagt Barankitse. Das geschieht weniger in Sprechstunden mit dem Haus-Psychologen, sondern vielmehr auf einer persönlichen Ebene. „We try to be there“, sagt Barankitse und spricht von Liebe, Vertrauen, Geduld und Respekt.
Reicht das? Traudl Ott kann die Skepsis der Experten-fixierten Europäerin verstehen. Gemeinsam mit ihrem Mann begleitet sie die Frauen auf ihrer Reise und hat als Entwicklungshelferin selbst drei Jahre im „Maison“ gelebt. „In dieser Zeit hatten wir keine Spezialis-ten und trotzdem fiel da kein Kind raus“, erzählt sie. „You would be surprised to see them happy“, ergänzt Barankitse. Auch Pastor Erhard Mische vom Beirat, der die PreisträgerInnen dem Senat vorschlägt, zerstreut die Bedenken, hier könne es sich um „christliche Romantiker“ handeln. „Unsere Gesellschaft muss sich fragen, ob wir nicht deshalb so auf die Experten angewiesen sind, weil wir keine vergleichbare Form von Gemeinschaft haben.“
So ganz mit Liebe und Vertrauen lässt sich die Arbeit aber nicht bewältigen. In Abwesenheit von Barankitse hat die Regierung gestern Jugendmilizen geschickt, um zwei von der belgischen Regierung gestiftete Häuser räumen zu lassen. In diesen wohnen Jugendliche und junge Erwachsene, die in der Hauptstadt studieren. Rechtliche Möglichkeiten diese Räumung zu verhindern haben sie nicht. Barankitse hofft, dass durch die Bremer Auszeichnung ihre Arbeit auch von der burundischen Öffentlichkeit akzeptiert wird und die Sabotage aufhört.
Es ist nicht die erste internationale Auszeichnung und neben den 200.000 Mark, die von der Caritas jedes Jahr zur Verfügung gestellt werden, nimmt sich die Summe von 10.000 Mark zuzüglich der obligatorischen Umarmung von Bürgermeister Scherf als eher marginal aus. Dennoch glaubt der Burundi-Kenner Christoph Klitsch-Ott, dass so ein Preis dazu beitragen kann, die „vergessene Krise“ in Burundi bekannt zu machen und ein Ende der Grausamkeiten wieder in Sichtweite zu bringen. Eiken Bruhn
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