: Herzenswärme im Kalthaus
Wahre Lokale (60): Das „Dorfgemeinschaftshaus“ im Heideörtchen Spechtshorn
Ich ahnte, dass es ein Ende haben würde mit den heimeligen Kneipen, als ich aufs Land zog. Nie mehr zu „Peder und Judda“, unserer pseudoflotten Cocktailbar, die eigentlich irgendeinen hochgestochenen Quackelnamen führte, den man aber in Hamburg-Barmbek (der Hamburger sagt Boombäck) sich nicht merken wollte. Kein „Mayday“ mehr in Ottensen, wo man den Dreck mit Löffeln von der Wand schaben könnte, falls man im „Mayday“ einen Löffel hätte. Was unwahrscheinlich ist, weil man zum Bier keinen Löffel braucht. Auch das italienische Eiscafé mit dem depressiven Kellner würde als bloßer Abglanz einer besseren Vergangenheit in unseren Träumen bewahrt werden.
Die Hoffnung auf die „urigen Landkneipen“ wollte sich nämlich nicht erfüllen. Wir zogen in ein Dorf in Norddeutschland, in dem es außer dem heimischen Wohnzimmer genau vier Orte zum zünftigen Trinken gab: ein Schützenheim, ein Tennisheim, ein Sportplatzheim und die Tankstelle. Man trank nach Sparten getrennt: Schützen, Tennisspieler, Fußballspieler und Trinker. Weit abgeschlagen folgten die beiden Gasthöfe: Im einen wurde geheiratet, getauft und beerdigt, im anderen griechisch gekocht. Aber für ein Feierabendbier traf sich in beiden Kneipen nur die ganz harte Tresenstammmannschaft, deren breite, niedersächsische Kreuze man in der Gaststube von hinten bewundern konnte. Falls man dergleichen bewundert, was ich nicht tue. Inzwischen ist die Tankstelle im Stil der neuen Hartherzigkeit renoviert, so dass sich die Trinker wahrscheinlich in die Straßengräben verzogen haben, weil sie zwischen Hochglanzzeitschriften und Kühlregal keinen Platz mehr finden.
Der Grieche wurde ein Marokkaner und wieder ein Grieche, ohne dass sich an Ausstattung und Speisekarte Wesentliches geändert hat. Mein Lieblingslandgasthof in der Nähe – mit Bierdurchreiche in den Flur für den eiligen und den verschmutzten Trinker – wurde abgerissen. Sinnigerweise steht jetzt ein Getränkeabholmarkt an seiner Stelle. Kurz, es schien alles zu Ende zu sein. Bald darauf zogen wir um in ein noch kleineres Dorf, das gar keine Kneipe hat. Dachten wir jedenfalls. Man erzählte uns aber, dass zwei Häuser in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Lokale gewesen seien, das eine „früher“ und das andere „ganz früher“. Eine Weile lang befürchteten wir, dass unser Haus das zukünftige sein sollte, zumal als uns Freunde einen Flipper schenkten und auf die Geräumigkeit der Diele hinwiesen.
Aber dann entdeckten wir, versteckt hinter Tannen, doch noch eine Kneipe direkt an unserem Garten: das „Dorfgemeinschaftshaus Spechtshorn“. Es ist nicht größer als eine Garage, weil es ein umgebautes Kalthaus ist, das inzwischen, in Zeiten der Tiefkühltruhe, nicht mehr gebraucht wurde. Es hat Fenster aus Glasbausteinen und einen Tisch mit Wachstuchdecke. Sonntagsmorgens gibt es Flaschenbier, aber nur für Männer. Qualmwolken dringen durch die Kipp-Glasziegel in unseren Garten. Jeder ist sich selbst der Wirt. So soll es sein. So ist es gut. Keine Frauen, keine Schickis, keine Berliner. Heimat an der Wachstuchdecke.
Schade, dass auch das ein Ende haben wird: Das Haus sei zu klein, findet die selbstbewusste Dorfgemeinschaft, es müsse ein neues-schöneres-größeres her ... Geplant ist eine Zusammenlegung mit dem neuen Feuerwehrgerätehaus, neben dem Grillplatz am anderen Dorfende. Vielleicht können sie gleich noch ein Parkhaus daneben bauen.
Oder vielleicht könnten wir das alte Kalthaus kurzerhand kaufen und eine richtige Kneipe daraus machen. Allerdings passt der Flipper nicht hinein. SUSANNE FISCHER
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