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Panik im Quadrat

■ In Indien ist Carrom Nationalsport, in Rickling geht es morgen um Punkte für die Deutsche Meisterschaft

Kinder in Fischerdörfern tun es mit kleinen Kieselsteinen auf dem Boden. Männer in Delhi schnippen in schmalen Seitengassen an einem Tisch. Und auch StudentInnen treffen sich zwischen den Vorlesungen, um eine schnelle Runde zu spielen. Carrom ist in Indien Nationalsport. Auf dem Subkontinent wird es überall und von jedem gespielt. „Dort soll es sogar Profispieler geben“, weiß Frank Schweder, Turnierorganisator des in diesem Jahr ersten Ranglistenturniers zur Offenen Deutschen Carrom-Meisterschaft (ODM) in Rickling, einem Dorf zwischen Kiel und Bad Segeberg.

Nach Europa kam das Brettspiel, bei dem es darum geht, auf einem Spielbrett flache Spielsteine in Ecktaschen zu flippen, bereits vereinzelt in Traveller-Rucksäcken. Doch Turniere wie die ODM werden hier zu Lande erst seit Ende der Achtziger Jahre ausgetragen. Zumeist wird in Nebenzimmern von Kneipen, auf Küchentischen oder – wie am Sonnabend, wenn sich die bundesweite Elite trifft – im Nachbarsaal einer Kirche geschnippt. „Wir sind die absoluten Exoten“, meint Frank Schweder. Sponsorengelder aufzutreiben, ist deshalb nahezu unmöglich. Eher stiftet ein Gönner mal Ketchup oder Mayonnaise für die Stärkung zwischendurch. Rund 250 SpielerInnen sind in 21 Vereinen des Deutschen Carrom Verbandes (DCV) aktiv. „Die Zahl der nicht organisierten Freizeitspieler liegt allerdings um einiges höher“, erklärt Schweder, der selber seit zwei Jahren regelmäßig an der Platte steht. In Hamburg gibt immerhin zwei Vereine mit rund 40 Aktiven.

Beim Carrom ersetzen die Finger den Queue. Das Ziel ist es, seine neun Holzscheiben sowie die so genannte rote „Queen“, durch Schnippen des etwas größeren „Striker“ in den Ecklöchern des blankpolierten Quadrats von 74 mal 74 Zentimetern einzulochen. Nichts für Wurstfingrige. „Konzentration, taktisches Geschick und eine Menge Technik“ seien dafür die obersten Voraussetzungen, meint Frank Schweder. Aber im Grunde könne Carrom jeder spielen. Und die „indische Fingerstellung“, der „srilankische Griff“ oder der „Daumenschuss“, mit dem sogar rückwärts geschossen werden kann, sind mittlerweile auch hier zu Lande feststehende Begriffe.

Wo die Sportart ihren Ursprung hat, bleibt derweil umstritten. Es wird erzählt, dass sich die Fingerspielvariante in der Kolonialzeit aus dem Poolbillard englischer Offiziere entwickelte. Anderen Geschichten zufolge saßen bereits ägyptische Pharaonen bei Kairam, einem vergleichbaren Lochspiel, das über den Jemen Indien erreichte. Die dortigen Turnierbretter sind übrigens blau, um die Spiele für die zahlreichen Fernsehzuschauer übersichtlicher zu gestalten. Deutsche TV-Sender hingegen geben sich in Sachen Carrom eher schnippisch. Frank Schweder: „Meine Anfragen waren bislang alle vergeblich. Die wollen einfach nicht.“

Oliver Lück

Morgen von 11 bis 20 Uhr: 1. Turnier der ODM, Bischof-Halfmann-Saal, Kirche, Rickling

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