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Mondlandschaften werden grün

Senol Ince importiert den Dünger Biohumin in die Türkei. Zuerst war er skeptisch. Heute setzen die Bauern im kargen Südosten ihre Hoffnungen auf ihn

aus Adiyaman JÜRGEN GOTTSCHLICH

Das Zeug ist schwarz, etwas torfig, mit harten Klumpen dazwischen. Auf den ersten Blick sieht es wie ganz normale Blumenerde aus. Ist es aber nicht. Was da aus weißen Plastiksäcken quillt und auf mondlandschaftsartigem Karstgebiet verteilt wird, ist ein Stoff, der in den kommenden Jahren die Türkei verändern soll. Wo jetzt noch ausgelaugte Böden der Erosion preisgegeben sind, sollen Bäume wachsen oder doch wenigstens ordentliche Büsche, die verhindern, dass weiterhin Land von Wind und Wasser weggeweht und weggewaschen wird. Der Stoff, aus dem die Träume sind, heißt Biohumin, Biologische-Humus-Mineralstoffe. Er besteht überwiegend aus tertiärer Braunkohle, gehäckseltem Holz und Mineralien. Hinzu kommt eine geheim gehaltene Substanz, die ökologische Colaformel. Entwickelt wurde Biohumin in der Schweiz. „Ein strategischer Rohstoff“ sei das, sagt Senol Ince, ohne mit der Wimper zu zucken. „Nicht nur für die Türkei, für den ganzen Nahen Osten.“

Begeistert springt Ince den Hügel aus Sand, Schotter und größeren Felsbrocken hinab. An der tiefsten Stelle zeigt ein ausgetrocknetes Flussbett an, dass im Frühjahr, wenn der Schnee auf den Bergen schmilzt, hier eine wahre Flut durchrauscht. Doch die Erde kann des Wasser längst nicht mehr halten. Die Umgebung des Atatürk-Staudamms, des größten türkischen Stausees am Oberlauf des Euphrats, ist biologisch schon lange tot. „Biohumin wird dafür sorgen, dass der Boden in der Lage ist, Wasser zu speichern. Dann kann hier auch wieder etwas wachsen.“ Senol Ince hat sich eine Schaufel geschnappt und hilft mit, kleine Terassen in die Mondlandschaft zu graben, auf denen dann Biohumin ausgestreut wird. Mit bloßen Händen wird der schwarze Stoff unter den Sand und Schotter gemischt, immer im Abstand von ein paar Metern.

Von Haus aus ist der 35-jährige Ince Immobilienmakler. Flotte Klamotten, flotte Frisur und flotte Sprüche, wie man sich einen jungen, dynamischen Geschäftsmann auf einem Wachstumsmarkt vorstellt. Sein Wirkungsfeld war Berlin, seit dem Mauerfall ein boomender Markt für Immobilien. „War nicht schlecht“, sagt er im Rückblick, „wir haben gut verdient.“

Jahrhundertelanger Kahlschlag

„Ein Ossi aus Leipzig, ein Mann, der bereits mehrfach eine gute Nase für lukrative Investments bewiesen hat, hat mich auf Biohumin aufmerksam gemacht“, erzählt Ince, der als Fünfjähriger mit seiner Familie von Bursa nach Deutschland kam. „Erst habe ich gedacht, der spinnt. Soll ich vielleicht Bio-Scheiße verkaufen?“ Doch dann habe er sich die Unterlagen über Biohumin, das der Schweizer Ingenieur Walter Iten erfunden und patentiert hat, genauer angeschaut. „Innerlich“, meint Ince heute, „war ich wohl reif für einen Wechsel.“ Fünf Monate lang hat er alle Unterlagen über Biohumin studiert und geprüft, dann war er überzeugt. „Im Juli 1998 habe ich mein Immobilienunternehmen verkauft und alles auf Biohumin gesetzt“. Ince wollte sich als Importeur in der Türkei niederlassen.

Schon bald wurde ihm klar, dass mit dem reinen Import des Biodüngers kein Blumentopf zu gewinnen ist. Eine Tonne Kunstdünger kostet in der Türkei 450 Mark, eine Tonne aus der Schweiz importiertes Biohumin dagegen 650 Mark. „Das hätte natürlich niemand gekauft.“ Um Biohumin in der Türkei bekannt zu machen, suchte Ince nach einschlägigen Verbündeten. Die beste Adresse dafür ist die Tema-Stiftung, die größte, bekannteste und einflussreichste Umweltorganisation des Landes. Tema ist keine industriekritische Umweltgruppe, sondern ein bodenständiger, konservativer Verein. Sein wichtigstes Ziel ist die Aufforstung. Das uralte mesopotamische und anatolische Kulturland wurde bereits vor Jahrhunderten kahl geschlagen, deshalb gehen Jahr für Jahr mehr Böden durch Erosion verloren. Ince überredete Tema, auf einigen Rekultivierungsflächen Biohumin einzusetzen. „Das Ergebnis hat die Tema-Stiftung begeistert.“ Tema stieg mit acht Prozent in Inces Aktiengesellschaft Eko-Terim ein und bekam einen Sitz im Vorstand. „Dafür“, sagt Ince stolz, „können wir uns jetzt auf jeder Visitenkarte mit Tema schmücken.“

Revolution in der Landwirtschaft

Der Raum ist brechend voll, doch wegen der kaputten Fenster ist es trotzdem empfindlich kalt. Gerade ist ein heftiges Gewitter niedergegangen, noch immer prasselt der Regen herunter. Der Versammlungssaal des Dorfes Karaburc liegt über dem Krämerladen. Mehr als 20 Leute passen nicht in den Raum. Jetzt drängen sich trotz des Regens noch einige in der offenen Tür. Wie immer redet Ince mit Begeisterung über den Biodünger, der die Landwirtschaft der Türkei revolutionieren soll. Bei den Bauern von Karaburc rennt er offene Türen ein. Sie haben von Biohumin gehört und wollen wissen, was sie machen müssen, um auf ökologischen Landbau umzustellen. Nicht dass sie über Nacht zu Ökologen geworden wären. Nein, der Staat streicht auf Druck des Internationalen Währungsfonds die Subventionen für chemischen Dünger. Eine Alternative kommt gerade recht.

Karaburc liegt nur 30 Kilometer von der Mondlandschaft entfernt, in der Ince und seine Truppe am Morgen Biohumin ausgebracht haben. Grüne Wiesen und sauber gepflügte Felder ziehen sich über eine Hügellandschaft, die sich in Sichtweite des Atatürk-Staudamms bis zum Horizont erstreckt. Nach der Informationsrunde im zugigen Versammlungsraum wollen die Bauern endlich ihre Felder vorführen, auch wenn der Regen noch längst nicht aufgehört hat. Etwas zögerlich quält sich die Eko-Terim-Truppe durch die schlammigen Äcker, doch der Rundgang lohnt sich. „Wunderbarer Boden“ schwärmt Ince. Was die Erträge angeht, macht er den Bauern große Hoffnungen. Erste landwirtschaftliche Ergebnisse können Ince und seine Leute mit Biohumin bereits vorweisen. In Gölbasi, einem Städtchen in der Provinz Adiyaman, pachtete Eko-Terim Anfang letzten Jahres 20 Hektar Land und ließ die Bauern unter Verwendung von Biohumin kontrollierten ökologischen Gemüseanbau betreiben. Ökologisches Saatgut wurde bei Demeter in Deutschland oder bei ortsansässigen Bauern eingekauft, die für den eigenen Bedarf Reste von herbizidfreiem Saatgut aufbewahrt haben. Im letzten Herbst hat Eko-Terim in Gölbasi das erste Mal geerntet. „Wir haben die Erträge durchweg verdoppeln können. Wo vorher mit Kunstdünger pro Hektar 30 bis 40 Tonnen Tomaten geerntet wurden, haben wir 80 Tonnen erreicht“, erzählt Ince stolz.

Um gegen die großen Chemiekonzerne konkurrieren zu können, will Eko-Terim Biohumin in der Türkei produzieren lassen. In der Nähe von Gölbasi, ebenfalls in der Provinz Adiyaman, soll für 30 Millionen Mark eine Fabrik hochgezogen werden. „Neunzig Prozent aller notwendigen Rohstoffe sind hier in der Türkei, wir müssen nur ein Minimum importieren und können alles in türkischer Lira abwickeln“, erläutert Ince die Vorteile der Lizenzproduktion. „Wir werden Biohumin preiswerter als Kunstdünger verkaufen können.“

Doch das Konzept droht in der türkischen Finanzkrise unterzugehen. Angesichts von Bankenkrise und Lira-Abwertung halten sich alle ausländischen Investoren zurück. „Unsere deutschen Kapitalgeber sind letzte Woche abgesprungen“, berichtet Ince mit einem Anflug von Resignation. „Die werden auch so bald nicht zurückkommen.“

Kapitalgeber springen ab

Auch für die Bauern in Karaburc wird es wohl erst einmal nichts mit dem Bio-Anbau. Die Vorfinanzierung für die Umstellung von Kunstdünger auf biologischen Anbau hätte von der staatlichen Landwirtschaftsbank „Ziraat Bankasi“ kommen sollen. Doch die ist von der Krise besonders betroffen. „Bei Ziraat geht im Moment gar nichts, die wissen auch nicht, wie es weitergehen soll.“ Ince hat noch einen Trumpf im Ärmel. Ganz am Ende des Ganges im Hauptquartier von Eko-Terim in Istanbul liegt ein kleiner Raum: die Schatzkammer des Unternehmens. Säuberlich in Regalen bis an die Decke gestapelt stehen dort Plastikkanister, die mit ganz unterschiedlichen Körnern gefüllt sind. „Das ist bestes Öko-Saatgut aus der Ernte vom Herbst. Damit werden wir nun weitermachen“, strahlt Ince.

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