Ein ehrenwertes Haus

■ Überzeugend, wenngleich sehr effektschwanger inszeniert Barbara Bilabel Werner Schwabs „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ im Schauspielhaus / Irm Hermann schwebt fast metaphysisch über der Szene

In Zeiten des Container-TV kommt der Hausgemeinschaft ein gesteigertes Interesse zu. Den häuslichen (Um-)Trieben hat sich Werner Schwab jedoch schon lange vor Doku-Soaps und mit reichlich Endemol-fremder Ästhetik angenommen. Seine 1991 uraufgeführte Radikalkomödie „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“, die jetzt Premiere im Bremer Schauspielhaus hatte, spielt in einem Drei-Parteien-Mietshaus.

Dessen Aufbau schichtet sich fein säuberlich nach sozialer und geistiger Weltstellung. Im Souterrain wohnt Frau Wurm mit ihrem beziehungsweise gegen ihren nicht nur am Fuße verkrüppelten Sohn Hermann, der alkoholgestützt versucht, seine grau-verlorene Existenz in ein „farbiges Künstlerleben“ zu verwandeln. Auch im eigenen Bewusstsein befindet sich ein Geschoss darüber die Familie Kovacic, die sich zwischen Stumpfsinn und sexuellen Rollenspielchen ein ums andere Mal „fertig versöhnt“. Über all dem schwebt im Obergeschoss die Besitzerin Frau Grollfeuer, die das von ihr verabscheute Mitmietervolk am Ende vergiften wird.

Spießer-Trash, Efeu-Dschungel, ramponierte Kellerverließe und pseudosakrale Symbollastigkeit. Allein die optische Seite des in jedem Sinne zerfallenen Arrangements ist üppig eingefangen worden. Das Design des Bühnenbildes schreit laut: „Ghosttown“. Und so verlassen wie das Gebäude sind auch dessen Bewohner. Menschen werden zu bloßen Körpern und typisch schwabistisch zu „semantischen Brocken“ runter gekocht, um sich ihre Verbalauswürfe in gegenseitiger Zerstörung entgegenzuschleudern. Inhaltlich kommt diese Perversionsmelan-ge aus Gewalt, Inzest und Brachialität zwar über analytische Abziehbilder und Klischees des Kleinbürgertums nicht hinaus. Doch darum geht es auch nicht. Genau wie Schwab die Existenzen zu bloßen Gefäßen aushöhlt, entkernt er den Inhalt der Sprache über deren Form. Obgleich die Sprache „sich selbst nicht so ernst“ meint, wird Inneres nach außen gestülpt, Subjekt und Objekt nicht nur semantisch vertauscht. Die als eigentümlicher Jargon zwischen Pop-Sound und der desillusionierten Grammatik Thomas Bernhards konstruierten Texte entwickeln ihren Flow zwischen distanzierter Spielerei und scharfem Trommelfeuer. In ihrer Tragik sind sie dabei so tief, in ihrem Pathos so anrührend, dass die Lacher geradezu herauf beschworen werden.

Durch diese Jandl-ähnliche Sprachverzerrung wird die Wirkung der Worte freilich nur noch verstärkt. Besonders Irm Hermann darf ihre Zunge an der Schwabschen Sprachform reiben. Näselnd und perlend nimmt sie sich als Frau Grollfeuer menschenverachtend ihrer mithäusigen „Untermenschen“ an. Die ehemalige Fassbinder-Darstellerin gibt die groteske Mischung aus Nietzsche-Verschnitt und adeliger Kaltherzigkeit dabei mit einer überraschenden Zerbrechlichkeit, die sie fast schon metaphysisch über der Szenerie schweben lässt.

Auch ansonsten zeigt das Ensemble kaum Schwächen. Gabriele Möller-Lukasz brilliert in der verhärmten Weinerlichkeit der Frau Wurm, während Raiko Küster deren Sohn mit explosiven Trainspotting-Anleihen ausstattet. Frau Kovacic wird von Henriette Cejpek als Uma Thurman-Look Alike genauso auf den Punkt gebracht wie ihr Gatte von Sebastian Dominik im Tony Marschall-Design. Nur Katja Zinsmeister und Tanja Schupnek vermögen sich als Kovacic-Töchter zuweilen nicht so recht zwischen Slapstick, Görenhaftigkeit und Schlampendasein zu entscheiden.

Was vielleicht auch daran liegt, das die Inszenierung von Barbara Bilabel sich an einigen Stellen selbst nur mühsam zu strukturieren weiß. Schwabs Maxime, „Sprache in reines Menschenfleisch“ zu verwandeln und sie dadurch Personen wie „Blechbüchsen an einem Hundeschwanz“ hinter sich her ziehen zu lassen, hätte ja eigentlich schon für genügend Gerassel gesorgt. Doch neben der optischen Opulenz wird von einer Breakdance-Einlage über Bee Gees-Musik bis zu einer blauen Madonna mit Blow-Job-Kompetenz auf zu viele Effekte gesetzt. Besonders am Ende, dessen surrealistische Melancholie gänzlich umgeschrieben wurde, sind die Leerstellen weg inszeniert worden. Zu Big Beat-Mucke von Fat Boy Slim bietet sich in bester Splatter-Tradition Hermanns Fuß als Geburtstagskuchen zum Verzehr an. Anschließend wird ein munteres Todestänzchen aufs Parkett gelegt, bei dem man nicht so recht weiß, ob es von einem John Waters-Film, Michael Jacksons „Thriller“-Video oder Freddy Kruger beeinflusst wurde.

Vielleicht hätte Werner Schwab auch diese Knalleffekte mit dem Hinweis darauf verteidigt, dass das „Publikum einen hell leuchtend glühenden Laternenstrahl ... in die Eingeweide gerammt bekommen“ will. Ein zuschauerwirksames Credo, das auch die Programmchefs von RTL 2 begeistern könnte. Womit wir wieder beim Containerfernsehen wären: Das hat ja gezeigt, welch kurze Halbwertzeiten allzu intensive Effekthurereien haben können. Und wir wären zugleich bei der Frage, wie lange Werner Schwab als Nominator jenseits der zweifelsfreien sprachlichen und ästhetischen Faszination noch die erhoffte Quote bringt.

Matthias Muth

Inszenierungsfoto: Jörg Landsberg

Weitere Aufführungen am 3., 14. und 21.3. jeweils 20 Uhr, Schauspielhaus