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Entrückte Emotion

Alastair Galbraith konjugiert Kiwi-Gitarrenpop im Vokabular der Avantgarde – und gastiert heute in der Astra Stube  ■ Von Gregor Kessler

Das Paradies ist auch nicht mehr das, was es mal war. Wollte noch vor ein paar Jahren halb Deutschland nach Neuseeland auswandern, so gilt das „schönste Ende der Welt“ heute als warnendes Beispiel für die Schrecken des Neoliberalismus: niedrige Sozialleistungen, hohe Arbeitslosigkeit und eine Selbstmordrate bei Jugendlichen, die ihresgleichen sucht. Vorbei scheinen auch die großen Tage des Kiwi-Pops – Tage in den Achtzigern, als scheinbar jede Woche eine neue, umwerfende Gitarrenpop-Platte aus Neuseeland beim Importhändler deines Vertrauens auftauchte, jede für sich mit der Frische und Kraft aufgeladen, die Winde des Tasmans durch deine verstaubte Plattensammlung wehen zu lassen. Doch jenes Label, Flying Nun, das damals anrührend unbefleckte Songs in die Welt des Gitarrenpops streute, scheint heute nur noch zweitklassige Britpop-Epigonen und andere Mogelpa-ckungen zu veröffentlichen.

Kein Wunder also, dass Alastair Galbraith, der seit mindestens zehn Jahren als Aushängeschild alternativer Musik aus Neuseeland gilt, schon lange keine Platte mehr auf Flying Nun veröffentlicht hat. Die letzte muss wohl 1987 erschienen sein, und damals spielte ein sehr junger Alastair noch in einer Band namens The Rip. Eine angenehme Fußnote des Label-Katalogs, aber nie eine Sternstunde. So lag die Bedeutung von The Rip auch weniger im Musikalischen, als in der Tatsache, dass die Band Alastair Galbraith auf den Weg des Solisten führte. Ein Weg, der heute von einer Reihe wunderschöner Solo-Veröffentlichungen gesäumt ist, die auch und gerade in Amerika und Europa für viel Aufsehen gesorgt haben.

Alastair Galbraith, aufgewachsen im viktorianischen Dunedin auf Neuseelands wirtschaftlich vernachlässigter Südinsel, merkte also, dass seine Stärke im Alleingang liegt. In Songs, die der verschrobenen Skizzenhaftigkeit und entrückten Emotionalität Syd Barretts nicht unähnlich sind. Dass Galbraith sich dabei nie in die klischee- und phrasenreiche Welt der Singer/Songwriter begab, ließ seine Stücke herausstechen. Geschickt eingesetzte Rückwärtsgitarren, manipulierte Tape-Einspielungen und E-Bow-Einsätze, die an schottische Dudelsäck erinnerten, wurden zu den Vokalen und Konsonanten einer musikalischen Sprache, die über die Jahre zunehmend abstrakter wurde. Abstrakt, aber nicht amorph, denn als unauffällige Soundtapete taugen die scheuen Songs Galbraith sicher nicht. Dazu entwickelt ihre geisterhafte Schemenhaftigkeit eine viel zu starke Präsenz.

Live konnte man sich davon in Deutschland zuletzt 1994 überzeugen. Wenn Galbraith nun für wenige Auftritte nach Europa zurücckehrt, dann sollte das all jene interessieren, die an ein Überleben von (Pop-) Traditionen auf dem offenen Feld des Experiments glauben. Denn ein Solo-Auftritt Alastair Galbraiths entlässt die introspektive Version des Kiwi-Pops in die Freiheit der Improvisation. Das klingt dann, obwohl instrumentiert lediglich mit E-Gitarre, Tapes und Gesang, bewegend bis erschütternd. Der zweite Teil des Abends wird sich experimenteller gestalten: Zwei Klaviersaiten werden durch den Raum gespannt und von Galbraith und einem zweiten Musiker bespielt. Das gibt dem Raum Kontur, dem Sound Raum und den Besuchern einen Eindruck davon, wie ein Avant-Barde vom anderen Ende der Welt sein Metier neu erfindet.

heute, 21.30 Uhr, Astra Stube.

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