: Höchstens das rosarote Rüschenkleid fehlte
■ Beim Konzert der Kammerphilharmonie in der Glocke wurde gelacht, (fast) geweint und wie immer am Ende ausgelassen getrampelt
Auch in Klassikkonzerten ist die Katastrophe das stärkste aller möglichen Erlebnisse, nämlich jener Knall, wenn eine Klaviersaite reißt, am liebsten noch am Steinway. Dann zerschmettert das reine Gefühl die schnöde Materie. Fast eben so schön war es, wie Truls Mork nach getaner Arbeit sein Solisten-Cello dem zugabelüsternen Publikum entgegenhielt und meinte, er würde ja gerne. Nur leider habe er seine Wirbel kaputtgeschrammelt. Auch Klassik kann wild und gefährlich sein. Und lustig. Und manchmal auch beides zusammen.
Auf dem Programmzettel wirkte die Kombination von Sergej Prokofjews unvollendetem „Concertino für Cello und Orchester“, Igor Strawinskys Pulcinella-Suite, leider-leider in einer Fassung ohne Gesangssolisten, und Beethovens Pastorale irgendwie beliebig. Mitten im Konzert konnte man sie aber auch als tönenden Essay über Original und Zitat rezipieren, oder über ironische Distanz und unmittelbares Pathos, bis dass die Wirbel springen.
Denn Strawinsky und Prokofjew zitieren die Formen früherer Epochen, und zwar Strawinsky voll heiterer Ironie, Prokofjew eher ohne, und wenn doch, dann eher mit mahlerscher Verzweiflung, im dritten Satz mit seinem grotesken Schunkeln. Andererseits kann man schon bei Beethoven eine ironische Distanz gegenüber den eingesetzten Mitteln herausspielen. Das haben zum Beispiel zwei Cellisten im zweiten Satz gemacht. Sie zupften ihr sanft blubberndes Pizzikato mit Inbrunst, und grinsten sich dabei halb selig, halb amüsiert zu. Der eine von beiden war übrigens Truls Mork. Wie die Klarinettistin Sabine Maier ist er sich nicht zu gut dazu, vom primus unter die pares herabzusteigen: hier zeigt sich der vom Publikum so geliebte Einer-für-alle-Genossenschaftsgeist der Kammerphilharmonie.
Strawinsky hat in seinem Pergolesi-Verschnitt ein paar barsche Brüche – hier ein unterschlagener Schlussakkord, dort ein unerwartet hereinplatzender Fagottton – eingebaut, bei dem das Publikum sich nicht scheut, munter loszugaggern. Lustig ist aber vor allem, wenn Strawinsky das Augenmerk auf formalisierte Begleitfiguren lenkt, zum Beispiel eine Fagott – hervorragend gespielt – ohne Ende albertibassartige Plattitüden wonniglich abmarschieren lässt. Und wenn sich der erste Geiger mit wildem Vibrato in eine Melodie wirft, dann müsste er eigentlich nur noch ein rosa Rüschenkleid tragen, und die Zuhörer würden vor Rührung schluchzen. Diese Gleichzeitigkeit von Wärme und schalkiger Ironie ist nicht nur zu hören, sie ist überdies dem Dirigenten Paavo Järvi ins Gesicht geschrieben. Mit seiner straffen Körperhaltung – sie lockert sich bei der Pastorale beträchtlich – und mit minimalisierten Handzeichen, sorgt er für die hier so wichtige Präzision des Pulierens.
In Prokofjews Part kann man sich nur mit höchstem Willen zu Schmerz (1.Satz) und Seligkeit (2. Satz) hineinwerfen, und Mork tut das auch. Dass dabei manchmal, etwa wenn sich das Cello aus der Tiefe nach oben durchwühlt, im Aufruhr auch ein Stück unfreiwillige Ironie mitschwingt, ist gut so.
Liest man „Pastorale“ auf dem Programmzettel, kommt das Gähnen, geht sie los, ist sie nach wie vor göttlich, merkwürdig. Göttlich vor allem dann, wenn wie hier im 1. Satz manche Steigerungspassage sich bombastisch anstaut wie bei Bruckner, oder wenn der zweite Satz weich und zart wird, wie unter Milchglas gestellt. Und Stefan-Rapp-Fans sind nach diesem Konzert sicher der Meinung, dass Beethoven das Gewittergrollen extra für diesen Paukisten komponiert hat.
Aber eigentlich sollte man auch erwähnen: die Querflötistin, den Klarinettisten, den Oboisten... bei den massigen Solostellen, die es gerade bei Strawinsky hat ... bk
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