Was sucht der Dollar im Salat?

Seit dem Sturz der Lira am 22. Februar steigen in der Türkei die Preise. Fußballspieler verweigern das Training, Rentner verarmen. Im Südosten sind schon ganze Geschäftsstraßen geschlossen. Der neue Finanzminister Kemal Derviș soll’s richten

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Selten wurde in der Türkei zum islamischen Opferfest so wenig geschlachtet wie in diesem Jahr, und auf dem Tiermarkt in Zeytinburnu, vor der Istanbuler Stadtmauer, klagen die Händler. Seit am 22. Februar die Lira durch die Freigabe der Wechselkurse zum Dollar und Euro über Nacht einen Drittel ihres Wertes verlor, steht das Geschäftsleben in der Türkei praktisch still. Selbst die Händler wollen oft gar nicht verkaufen, weil sie nicht wissen, welchen Preis sie für ihre Waren berechnen sollen. Betrieb war Ende letzter Woche lediglich auf dem Devisenmarkt in Tahtakale, dem traditionellen Platz für den illegalen Umtausch einheimischer Währung in Dollar oder Mark. Jahrelang war in Tahtakale nichts mehr los gewesen, weil der frühere Präsident Turgut Özal Anfang der 90er-Jahre die letzten Devisenrestriktionen aufgehoben hatte. Doch jetzt sind die Gassen wieder voll. Wer dringend Dollar braucht, kann hier meistens noch einen minimal besseren Kurs herausholen als in Banken oder Devisenbüros.

Und es sind einige, die unbedingt Dollar benötigen. Beispielsweise der Präsident des renommiertesten türkischen Fußballklubs Galatasaray, dessen teure ausländische Stars bereits die Arbeit niedergelegt haben und sich weigern, zum Training anzutreten, weil ihre Dollar-Gagen noch nicht auf ihren Konten angekommen sind.

In Dollar abgerechnet wird in der Türkei jedoch nicht nur in der Luxusklasse teurer Fußballstars. Fast alle Privatschulen kassieren von ihren Schülern in US-Währung und bezahlen auch ihre Lehrer in Dollar. Eltern, die sich für ihre Kinder die teure Schule noch so gerade leisten konnten, müssen jetzt ihre Kinder abmelden.

Existentiell bedrohlich wird die türkische Wirtschaftskrise für diejenigen, die schon vorher an der Armutsgrenze gelebt haben. Rentner, deren monatliche Zuweisung vor dem Finanzcrash umgerechnet 200 Dollar wert war, müssen jetzt mit 130 bis 140 Dollar im Monat auskommen. In Istanbul aber ist das Leben fast so teuer wie in Berlin. Empört fragen Kunden ihre Gemüsehändler auf dem Markt, was denn der Salatkopf mit dem Dollarkurs zu tun hat, doch die zucken nur mit den Schultern. Schon haben selbst die staatlichen Energieversorger eine zehnprozentige Erhöhung der Strom- und Gaspreise angekündigt, und auch das staatliche Tabak- und Alkoholmonopol Tekel erhöht die Preise. Besonders dreist schägt der Staat bei den Telefongebühren zu. Der Monopolist kassiert ab sofort 20 Prozent mehr.

Geradezu katastrophal wirkt sich die Krise im kurdisch besiedelten Südosten, dem traditionellen Armenhaus des Landes, aus. Gerade hatten die Menschen nach 15 Jahren Bürgerkrieg wieder etwas Hoffnung geschöpft, da gingen bei hunderten Läden und kleinen Handwerksbetrieben die Stahlrollos herunter. „Bei uns“, erklärte der Bürgermeister von Diyarbakir, Feridun Çelik von der prokurdischen Hadep, vor wenigen Tagen, „lag die Arbeitslosigkeit schon vor der Krise bei 70 Prozent. Wenn jetzt jede Hoffnung auf Besserung zerstört wird, sind neue soziale Unruhen vorprogrammiert.“

Gespannt wartet das ganze Land nun auf den kommenden Montag, wenn nach dem Opferfest die Banken wieder öffnen und der neue Dollarkurs bekannt gegeben wird. Alle Hoffnungen, dass die finanzielle Situation sich etwas verbessern könnte, ruhen auf den Schultern eines Mannes: Kemal Derviș. Mit ihm hat Ministerpräsident Ecevit den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank praktisch an den Kabinettstisch geholt. In dieser Woche wird der bisherige stellvertretende Direktor der Weltbank seinen Schreibtisch in Washington räumen, um als Superminister für Wirtschaft und Finanzen in Ankara einzuziehen. Derviș, der die letzten 20 Jahre bei der Weltbank verbracht hat, soll nun das marode türkische Bankensystem reformieren und dafür sorgen, dass die Türkei auf den internationalen Finanzmärkten neue Kredite bekommt. „Die nötigen Verbindungen“, so bemerkte Devlet Bahçeli, Vizeministerpräsident und Chef der ultranationalistischen MHP, spitz, „wird er ja wohl haben.“