: Schach der Männer-Welt
Die 24-jährige Judit Polgar ist für ihre weibliche Konkurrenz viel zu gut. Deshalb spielt sie einfach bei den Männern mit und bringt dort hin und wieder auch Garri Kasparow mächtig ins Schwitzen
von HARTMUT METZ
Mit Frauen mag sie sich nicht vergleichen. Ja, vielleicht daheim in Budapest, ab und an, wenn die Schwestern zu Besuch kommen. Dass sie Duelle mit anderen Frauen langweilen, kann man sich höchstens denken. Judit Polgar ist ihrer weiblichen Konkurrenz in etwa so deutlich voraus wie eine Weitspringerin, die regelmäßig einen Meter weiter als die Konkurrenz hüpfen würde.
Weil die freundliche 24-Jährige das krasse Gegenteil von ihrem Pendant in der Herren-Weltrangliste, Garri Kasparow, ist, gähnt sie jedoch nicht bei der Frage nach dem Niveau anderer Großmeisterinnen. Ohne Verachtung drückt es die beste Schachspielerin aller Zeiten positiv aus, dass sie in ihrem Leben erst dreimal bei den Frauen mitspielte: zweimal bei Mannschaftsolympiaden mit ihren älteren Schwestern Zsuzsa und Zsofia, und auch das nur, um der Welt zu beweisen, dass die Familie Polgar ganz allein die Damen-Welt matt setzen kann. Außerdem spielte Judit 1986 noch mit zehn Jahren bei der U-16-Mädchen-WM.
„Ich habe nichts gegen das Frauenschach“, betont der einst mit 15 Jahren jüngste Herren-Großmeister und setzt fort: „Aber das Niveau bei den Herren stellt eine größere Herausforderung für mich dar.“ Wie in den vergangenen zwei Wochen in Linares. Kasparow hatte zuvor über die diesjährige Besetzung im „Wimbledon des Schachs“ gewettert. Viswanathan Anand blieb dem spanischen Örtchen ebenso fern wie Wladimir Kramnik. Der neue russische Weltmeister wollte sich nach dem WM-Sieg über Kasparow nicht mit einem Taschengeld abspeisen lassen, und der offizielle Champion des Weltverbandes Fide kam lieber Verpflichtungen in seiner indischen Heimat nach. Um seinen harschen Worten Nachdruck zu verleihen, fegte Kasparow die Kontrahenten vom Brett. Der 37-Jährige gewann den doppelrundigen Wettbewerb mit drei Zählern Vorsprung! Abgeschlagen mit ausnahmslos 4,5:5,5 Punkten folgten der Weltranglistenfünfte Peter Leko (Ungarn), Shooting-Star Alexander Grischuk (Russland), Vizeweltmeister Alexej Schirow (Spanien) sowie Anatoli Karpow. Der bald 50-Jährige kassierte in der 172. Partie gegen den Erzrivalen die 30. Niederlage (bei 20 Siegen) und kam wenigstens im 173. Spiel zu einem Remis gegen Kasparow. Genauso unbefriedigend fiel die Bilanz von Schirow aus. Die Bilanz steht nun im Hassduell – beide verweigern sich mittlerweile der Gepflogenheit, sich vor und nach der Partie die Hand zu geben – bei deprimierenden 0:11.
Judit Polgar musste zwar durch eine Niederlage in der Schlussrunde gegen Schirow alle anderen Großmeister mit auf Platz zwei bis sechs vorrücken lassen. Als einzige aber wehrte sich die mit einem Tierarzt vermählte Ungarin mannhaft gegen Kasparow. Dem „Ungeheuer mit den tausend Augen“ verging gegen die kleine Dame sein Gehöhne. Die Weltranglisten-22. der Herren, die enorme 119 Elo-Punkte mehr aufweist als die chinesische Weltmeisterin Xie Jun, diktierte in beiden Partien das Geschehen. Vor allem im zweiten Vergleich war Kasparow heilfroh, erneut ins Remis zu entwischen. Dem tollkühnen Opferangriff von Polgar entkam er nur mit knapper Not.
Einst war Vater Laszlo Polgar angetreten, den Beweis zu erbringen, dass „Genies machbar“ seien. Eines seiner Mädchen wollte der Pädagoge auf den Schachthron hieven, den des starken Geschlechts wohlgemerkt. Eine zu hohe Hürde für Zsofia und Zsuzsa, die Älteste des Trios. Letztere begnügte sich dann mit dem WM-Titel der Frauen, ehe sie nach ihrer Hochzeit mit einem US-Amerikaner aufhörte. Zsofia steht bei den Damen nach der Heirat mit einem israelischen Großmeister nur noch auf Position 14. Auch im Zusammenhang mit dem Polgar-Küken spricht niemand mehr von der Herren-Weltmeisterschaft. „Wenn ich mir das Interesse am Schach erhalte, kann ich noch sehr lange die Nummer eins bleiben. Es gibt nur wenige Frauen, die mich bedrohen können“, meint Judit Polgar.
Eine Bedrohung stellt eher die Fide dar. Um endlich olympisch zu werden, will sich der Weltverband bedingungslos den Regularien des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unterwerfen. Diese schreiben nur dem Reitsport nicht vor, dass Frauen gefälligst gegen Frauen anzutreten haben. Ein Gedanke, den Judit Polgar rebellisch ablehnt. „Ohne Trennung der Geschlechter ginge zunächst wegen des härteren Wettbewerbs vermutlich die Zahl der Schachspielerinnen zurück. Langfristig aber passte sich das Niveau an, was unserem Spiel gut täte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen