: Absurditäten auf der Couch
Das Psychotherapeutengesetz zeitigt mittlerweile in der Praxis Wirkung: Die Honorareder Therapeuten sind dramatisch gesunken. Berlin ist davon besonders stark betroffen
Für Berliner Psychotherapeuten und deren Patienten gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Anders als in manchen dünner besiedelten Regionen gibt es in der Stadt keine eklatante Unterversorgung mit psychotherapeutischen Praxen. Das kommt den Patienten zugute. Sie brauchen dank der bundesweit größten Therapeutendichte weder lange Wege zurückzulegen noch lange Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Doch die vergleichsweise gute Versorgung hat gerade für die Psychotherapeuten einen Haken: Ihr Stundenlohn ist im bundesvergleich einer der niedrigsten.
„Die Honorare der Praxen liegen in Berlin oft weit unter 50 Mark pro Stunde“, berichtet Hans-Werner Drewe, Sprecher des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Das Bundessozialgericht hatte den Psychotherapeuten vor zwei Jahren 145 Mark für eine 50-minütige Therapiesitzung zugestanden.
Seit In-Kraft-Treten des Psychotherapeutengesetzes wird die Entlohnung von 23 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) festgelegt. In den KVs sitzen Vertreter der Ärzteschaft. Diese benennen die Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, deren Bewertungsausschuss gemeinsam mit Repräsentanten der Krankenkassen die abrechnungsfähigen Leistungen festlegt.
Das Problem dabei ist: Das Budget für das Jahr 1999 war so knapp bemessen, dass kaum etwas zu verteilen war. Je dichter das Praxennetz und je höher die Zahl der Therapiestunden, desto weniger blieb pro Stunde aus dem begrenzten Geldtopf. Für das vergangene Jahr wurde die Summe zwar wieder erhöht, doch behoben ist der Notstand noch nicht. „Nach wie vor sind viele Praxen existenziell gefährdet“, warnt Drewe.
Das Psychotherapeutengesetz, dessen Auswirkungen sich nun in der Praxis bemerkbar machen, stößt auch in anderer Hinsicht auf die Kritik der Verbände: Die Zulassungsausschüsse haben das Gesetz so restriktiv angewandt, dass viele Therapeuten nicht anerkannt worden sind. Auf fünf- bis sechstausend schätzt Drewe die Zahl der Praxen, die von den Krankenkassen kein Geld erhalten.
Die restriktive Linie der Anerkennungsverfahren wurde im November 2000 vom Bundessozialgericht bestätigt. „Damit“, so Drewe, „wurde die Unterversorgung zementiert.“ Die Blockadepolitik der Zulassungsausschüsse rührt aus der Angst der ärztlichen Psychotherapeuten, die dort eine deutliche Mehrheit haben, der Konkurrenz der psychologischen Psychotherapeuten ausgesetzt zu werden. Diese sind laut Psychotherapeutengesetz ihren Kollegen gleichgesellt – aber eben erst nach der Anerkennung.
Nicht zuletzt deshalb liegt die Hürde hier sehr hoch. Für einen Zeitraum von drei Jahren müssen die Antragsteller umgerechnet 250 Therapiestunden innerhalb von sechs Monaten nachweisen. Nur die drei „klassischen“ Verfahren, Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie, werden überhaupt zugelassen. Gestalttherapie zum Beispiel hat bei der ambulanten Behandlung in Psychotherapiepraxen keine Chance, durch die Krankenkassen finanziert zu werden. Im Rahmen einer stationären Behandlung hingegen schon. „Diese Handhabung ist absurd und rational nicht nachvollziehbar“, kommentiert Drewe das Procedere. Der BDP hofft auf eine Novellierung des Gesetzes. Eine Stellungnahme hat der Verband auf Anfrage des Gesundheitsministeriums bereits eingereicht.
LARS KLAASSEN
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