: Moskau allein ist zu wenig
Die Berichterstattung über die ehemaligen Sowjetrepubliken ist russlandfixiert. Das greift zu kurz
von BARBARA OERTEL
Am 25. Dezember 1991 trat Michail Gorbatschow in Moskau vor die Kameras und verkündete seinen Abgang von der Bühne der Weltpolitik. Damit zog der Mann, der zu Hause als Totengräber des Imperiums beschimpft, im Westen jedoch als Held gefeiert wurde, nur die letzte Konsequenz aus der Geschichte: dem Untergang der Sowjetunion.
Heute, fast zehn Jahre danach, ist, zumindest was die mediale Aufmerksamkeit angeht, Moskau so dominierend, wie unter Gorbatschow und bereits davor. In der russischen Hauptstadt treten sich die Medienvertreter auf die Füße. Als Präsident Boris Jelzin im Herbst 1996 unters Messer musste, wären die Journalisten während der Bypassoperation am liebsten in jede Herzkammer gekrochen. Und als das Atom-U-Boot Kursk und mit ihm ein Stück des Mythos von der russischen Größe im vergangenen Sommer in der Barentssee versanken, war kein Weg zu weit, um das Leid der Angehörigen und die Hilflosigkeit der neuen Führung unter Wladimir Putin in allen Einzelheiten abzubilden.
Dass die Vorgänge in Russland immer noch unsere besondere Aufmerksamkeit finden, ist, auch nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, zweifellos gerechtfertigt. Demgegenüber sind jedoch die ehemaligen Sowjet- und nunmehr unabhängigen Republiken heute journalistisch weitgehend Brachland. Staaten wie Weißrussland, Moldawien oder die Ukraine – immerhin der zweitgrößte Flächenstaat Europas – werden in der Regel von den Kollegen in Moskau mitverwaltet. Sie schaffen es allenfalls in die Schlagzeilen, wenn es über politische Skandale, unmenschliche Zustände in Gefängnissen, Waisen- und Krankenhäusern oder, mit Abstrichen über Wahlen, zu berichten gilt.
Doch eine derartige Sicht, noch dazu häufig durch die Moskauer Brille, wird der Realität nicht gerecht. Und die sieht, im Jahre zehn nach der Unabhängigkeit, zugegebenermaßen düster aus. Mit ein Grund dafür ist das schwierige Erbe der Stalin’schen Nationalitätenpolitik. So leben in fast allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zahlenmäßig bedeutende russische Minderheiten. Allein die Tatsache, dass trotz vereinzelter Auflösungserscheinungen ein weiterer Zerfall dieser Länder bislang vermieden werden konnte, verweist auf deren enorme Integrationsleistung und sollte mehr als eine Fußnote wert sein.
Doch dieses Erbe ist bei weitem nicht die einzige Hypothek. Hinzu kommen die schier unlösbaren Probleme der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation. So sind traditionelle Märkte weggebrochen, neue jedoch nicht in Sicht. Einer kleinen Gruppe von Superreichen, die ihre Pelze und Armani-Anzüge auf den heruntergekommenen Prachtboulevards spazierenfahren, steht ein wachsendes Heer Armer gegenüber, das ein Dasein am Rande des Existenzminimums fristet. Daran dürfte sich auch in naher Zukunft wenig ändern, im Gegenteil. Schon werden diese Staaten von den neuen Realitäten, wie der bevorstehenden EU- Osterweiterung eingeholt. Was diese in der Praxis bedeutet, kann ermessen, wer mit Menschen jenseits der künftigen Ostgrenze spricht.
Ihnen, die vom Handel mit den Nachbarn leben, wird mittelfristig nicht nur die Existenzgrundlage zunichte gemacht, sondern auch der Weg zu Verwandten versperrt sein. Zu dieser neuen Realität passt auch, dass nach der Landung eines Flugzeuges der moldawischen Flugesellschaft Air Moldova in Frankfurt am Main, Beamte des BGS bereits in der Kabine die erste Passkontrolle vornehmen.
Dort, wo wirtschaftlich und geopolitisch nichts zu holen ist, hält sich das Engagement des Westens in Grenzen. Aber sollten sich die Medien ihre Berichterstattung von den Interessen der Politik und Wirtschaft diktieren lassen? Die taz hat diese Frage immer mit einem Nein beantwortet. Ganz bewusst sind wir auf Nebenwegen gewandelt, um auch über östliche Regionen abseits des Mainstreams zu berichten.
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