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Subcomandante Superstar

„Da muss man hin“, sagt die Tortillabäckerin, und auch der Pfarrer von Tepoztlán freut sich auf die Zapatisten, die „Träger der Sonne der Gerechten“

aus Tepoztlán ANNE HUFFSCHMID

Das kleine Mädchen langweilt sich. Ihre Eltern mahnen es zur Geduld, seit Stunden schon sitzt die Familie auf dem Mäuerchen im kleinen Stadtpark von Tepoztlán. Sonne liegt über den Büschen der Kleinstadt. „Das hier ist ungefähr so, als ob man den Papst erwartet“, erklärt der Familienvater. Auch die Tochter soll etwas mitbekommen von dem historischen Ereignis, deshalb sind sie aus dem Nachbardorf angereist. Der Ladenbesitzer gehört nicht zu den ganz Armen der Region. „Chiapas ist weit weg“, sagt er und streicht der quengelnden Kleinen über den Kopf. „Wir wollten die Gelegenheit nutzen, um Marcos kennen zu lernen“.

Tatsächlich ist Tepoztlán, ein Städtchen südlich von Mexiko-Stadt, kein elendes Indio-Dorf. Von einer wuchtig zerklüfteten Bergwand ist die Ortschaft gerahmt. Seit Jahren übt sie sich im Spagat: Sie bietet Zuflucht für Metropolenmüde und pflegt zugleich stolz ihr Erbe: Tepoztlán ist die Wiege der alten Nahuatl-Götter und die Heimstatt der Ur-Zapatisten, der Truppen Emiliano Zapatas. Die kämpften während der Mexikanischen Revolution, in den Zehnerjahren des vergangenen Jahrhunderts, gegen die Großgrundbesitzer. 1914 gelang es ihnen, kurzzeitig Mexiko-Stadt zu besetzen.

Alkohol ist verboten

In den kopfsteingepflasterten Straßen wird Spanisch gesprochen, hier und da auch Englisch, Französisch oder ein wenig Deutsch. Heute mehr als sonst: Zwischen spielenden Kindern und schlafenden Hunden tummeln sich auffällig viele Ausländer. Fotografen bringen ihre Stative in Stellung, in einem Seitensträßchen stehen Chemieklos bereit. Im Dorfauditorium stapeln sich Wasserbottiche, Klopapierpakete werden ausgeladen, und junge Leute verteilen Papp-Akkreditierungen. Der Gemeinderat hat zur Feier des Tages vorsorglich „ley seca“ verhängt. Das strenge Alkoholverbot gilt sonst nur an gesetzlichen Feiertagen oder beim Antritt des Präsidenten. Es herrscht entspannte Geschäftigkeit und friedliches Geschnatter, keinerlei Hektik. Auf der Titelseite des Lokalblattes steht in riesigen Lettern: „Hoy llegan“ – „heute kommen sie“.

Auf dem Marktplatz ist zwischen Gemüsebergen und dampfenden Töpfen vom historischen Ereignis zunächst wenig zu spüren. Doña Edith, eine rustikale Tortillabäckerin, grinst milde angesichts der seltsamen Frage. Doch, natürlich geht sie nachher auch zum Dorfplatz hinauf. Eher aus Neugierde, sagt sie und wischt sich die Hände an der Schürze ab. Aber: „Hay que ir“ – „da muss man hin“.

Das findet auch der Dorfpfarrer, Padre Ignacio. Allerdings nicht nur aus Schaulust. „Wir werden hier das Licht der Hoffnung empfangen, das sie mitbringen“, sagt der rundliche Mann im karierten Hemd. Seit Tagen hat die Kirchengemeinde aufklärerische Flugblätter unters Volk gebracht: „Der Geist von Zapata lebt heute in den Zapatisten.“ Nein, er denkt nicht, dass er damit in der Kirche allein dastehe. Schließlich seien die Aufständigen „Träger der Sonne der Gerechtigkeit“. Wie Jesus, meint der Pfarrer und lächelt, nur „mit etwas Verspätung“ – denn die Zapatisten seien vor sieben Jahren erst am Neujahrstag und nicht schon zu Weihnachten in die Welt getreten.

Auf einer Parkbank warten drei vergnügte alte Damen in der Nachmittagssonne. Sie haben „leckeres Essen“ für die Gäste zubereitet. „Damals haben uns alle geholfen“, sagt eine von ihnen. „Jetzt ist es an uns, zu helfen.“ Damals, das war vor ein paar Jahren, als Tepoztlán durch die Auseinandersetzung um einen Golfclub in die Schlagzeilen geriet. Die Landesregierung hat ausländische Investoren angeworben, und zwar ausgerechnet auf Gemeindeland. Die Bewohner gingen auf die Barrikaden, vertrieben mit Stöcken und Steinen ihren korrupten Bürgermeister und erklärten sich kurzerhand zur autonomen Gemeinde. Künstler, Intellektuelle und Aktivisten solidarisierten sich mit dem zornigen Völkchen. Die Investoren verloren das Interesse am Projekt, und das Dorf lebte, ohne Bundesgelder, über zwei Jahre in Selbstverwaltung. Und die funktionierte: Es gab Essen und Strom, der Müll wurde entsorgt und die Post ausgetragen. Daher ist die Autonomie, für die die Indio-Guerilla auf ihrer zweiwöchigen „Zapatour“ wirbt, für den Gemeindevorsteher Lázaro Rodríguez keine rein indigene Forderung. „Wir haben dieselben Ideale“, sagt der Mann mit dem roten Halstuch. Schon zu autonomen Zeiten war er Bürgermeister, heute sitzt er, diesmal legal, wieder im selben Büro. An den Wänden hängen vergilbte Fotos vom alten Zapata. „Es gibt viele Gründe, sie mit offenen Armen zu empfangen“, sagt er und zwirbelt seinen buschigen Schnurbart.

Der Himmel färbt sich dunkelrosa. Allmählich strömt alles zur Straße hinauf, erwartungsvolle Stille liegt über Einheimischen und Zugereisten, ein paar Kids mit schwarzen Wollmützen auf dem Kopf wuseln durch die Menschenmenge. Das Flutlicht eines kreisenden Hubschraubers kündigt die heranziehende Karawane an. Über zweitausend Kilometer haben die paar Dutzend Fahrzeuge seit ihrem Aufbruch aus dem fernen Chiapas schon zurückgelegt. Endlich ertönt aus der Ferne das Motorengeräusch, im Schrittempo rollen die ersten Busse die Straße hinunter. Der Jubel schwillt an, Fähnchen werden geschwungen. Der Bus mit den Comandantes fährt ein, manche dösen hinter halb zugezogenen Vorhängen, andere winken hinaus.

„Da ist er“, ruft eine Frau aufgeregt. Grell beleuchtet gleitet das berühmte Profil mit der qualmenden Pfeife vorbei. Ein Menschenpulk drängelt sich immer dichter an das Fahrzeug heran. Von den Häuserdächern aus oder hinter einer Gardine könnte ein Scharfschütze seelenruhig seinen Job verrichten. Die Polizeieskorte, die den Zug sonst in diskretem Abstand begleitet, muss diesmal draußen, am Ortseingang, bleiben. Denn seit den autonomen Zeiten sind Bundespolizisten im Ort nicht geduldet.

Dafür bemühen sich ein paar Hundert resolute Männer und Frauen in weißen Overalls, den Bus gegen Schaulustige abzuschirmen. „Monos blancos“, weiße Affen, nennen sich die weiß gewandeten Italiener, die – nachdem das Internationale Rote Kreuz sich für „nicht zuständig“ erklärt hat – für die zapatistische Sicherheit verantwortlich sind. Von der alten Regierung waren die italienischen Menschenrechtler noch des Landes verwiesen worden. Die neue Fox-Regierung hat alle Einreiseverbote aufgehoben.

Spitze Schreie

Sprechchöre dröhnen über den nächtlichen Platz. Am lautesten die vier Buchstaben „E – Z – L – N“ immer und immer wieder. Einer nach dem anderen stellen sich die Comandantes auf der Bühne auf, manche in bunter Tracht, andere in olivgrünen Uniformen, alle mit Kappen, Hüten mit bunten Bändern über dem verhüllten Gesicht. Marcos betritt die Plattform als Letzter, wieder gibt es spitze Schreie. Ein paar alte Frauen schreiten die lange Reihe ab, drücken jedem eine Kerze in die Hand, schwenken Weihrauchgefäße, alle bekommen eine rosafarbene Blütenkette umgehängt. Auf das spirituelle folgt das politische Protokoll, die Nationalhymne, die zapatistische Hymne.

Dann wird geredet. Wenn die Reisenden so todmüde sind, wie man nach mehr als 30 öffentlichen Auftritten annehmen könnte, so lassen sie sich nichts davon anmerken. Kerzengerade stehen sie da, die Hände auf dem Rücken gefaltet, und hören höflich zu. Dem Bürgermeister, der gegen die Unternehmeroptik des neuen Präsidenten wettert. Einem alten Zapata-Veteranen, der soeben zum Ehrenkommandanten der EZLN gekürt wurde. Einem Gemeindevertreter, der vom Kampf der Kommunebauern erzählt. Leichter Unmut macht sich breit. Vereinzelte Pfiffe sind zu hören. „Und Marcos?“, ruft einer. Eine Indigena-Vertreterin bekommt brausenden Beifall. Der Moderator kündigt weitere Redner an. Das Pfeifkonzert wird lauter.

„Wir kommen, um zu fordern“

Schließlich sprechen die Gäste. Comandante David trägt in gebrochenem Spanisch vor, worum es bei der Gesetzesinitiative über indigene Autonomie geht, für die sich die EZLN beim Bundeskongress einsetzen will: um selbst gewählte Regierungen und kollektive Arbeit, eigene Rechtsnormen und Ressourcen. „Wir sagen nicht, dass unsere Art besser oder schlechter ist – sie ist nur anders.“ Die Stimme von Isaías, einem kräftigen Mann mit einer knallbunten Schärpe, klingt fester: „Wir kommen um zu fordern – nicht um zu bitten.“ Ein Nebeneffekt der Zapatour: Mit einem Mal bekommen auch die indigenen Comandantes unterscheidbare Konturen, zwar kein Gesicht, aber einen Körper und eine Stimme.

Wieder ertönen Marcos-Rufe im Publikum. Dann tritt der Subcomandante selbst ans Mikrofon. Kinder und Fotokameras werden in die Luft gereckt. „Guten Abend, Tepoztlán“, sagt er in den aufbrausenden Jubel hinein. „Marcos existiert nicht.“

Auf eine kurze Schrecksekunde folgen Bravo-Rufe. „Er ist nur der Rahmen für ein Fenster, in das ihr hineinschauen sollt.“ Das Scheinwerferlicht habe für „schlechte Beleuchtung“ gesorgt, so dass viele „nur noch den Rahmen und nicht durch das Fenster sehen.“ Die Bravo-Rufe werden lauter. Ebendies, das Prinzip der leeren Maske, scheinen Skeptiker zuweilen besser zu verstehen als die Fans. „Zapata hat nie eine Kapuze gebraucht“, hat ein junger Kneipenwirt wenige Stunden zuvor geschimpft. „Für mich persönlich gibt es diesen Marcos gar nicht – wenn ich die Kapuze aufziehe, könnte auch ich Marcos sein.“ Eben drum.

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