: Rock das Opernhaus
■ Warum das Theater immer noch für politische Veränderung gebraucht werden kann: Eine Ausstellung auf Kampnagel
1781 ließen Pariser Gebäudeplaner so schnell ein Opernhaus bauen, dass die Bourgoisie der Stabilität des Hauses nicht traute. Wie konnte so ein wichtiges Haus in nur 70 Tagen fertig gestellt werden, ohne dabei Einbußen der Statik in Kauf zu nehmen? Die Opernintendanz blieb auf den Premierenkarten sitzen, weil sich die Adligen nicht trauten, die neue Oper zu besuchen, also wurde vorher eine Gratisvorstellung für die „einfachen Leute“ gegeben, und erst als die Logen auch beim Ansturm von 4000 „Versuchskaninchen“ nicht zusammenbrachen, wurde es offiziel für jeweils 2500 Mitglieder der „beseren Gesellschaft“ eröffnet.
Neun Jahre später, am 12. Juni 1789, im Jahr der Französischen Revolution, stürmte das Pariser Volk das Theatre Porte St. Martin, in dem die Oper untergebracht war. Fast zweihundert Jahre später besetzten Studenten während der 68er Unruhen das Odeon-Theater in Paris, um dort ein Öffentlichkeitsforum ihrer Erhebung zu installieren.
Die aktuelle kleine Ausstellung Theater ist Politik ist Theater im Seitentrakt der Kampnagelhallen zeichnet die Geschichte des Theaters als Austragungsort und Prinzip politsicher Umwälzungen nach. Übertitelt sind die acht Stellwände, auf denen sich Fotos und Texte finden, mit dem Kommentar des Berliner Polizeipräsidenten Freiherr von Richthofen zum Verbot eines Theaterstücks 1890: „Die ganze Richtung passt uns nicht“.
Das Theater ist ein Medium, das in seiner Kommunikationsform mehr auf Diskurs als auf Aktion ausgerichtet ist. Obwohl Theater einen hohen politischen Stellenwert genießt und im bürgerlichen Feuilleton immer noch den größten Platz beansprucht, spielt es heute eine höchstens vermittelnde Rolle zur Politik. Um wirklich wichtig zu sein, hätte das Theater vor fünfzig Jahren beginnen müssen, mit technischen und ästhetischen Neuentwicklungen Schritt zu halten, statt sich im Status quo einzurichten.
Doch obwohl sich Politiker in ihren Gesten und in der Inszenierung ihrer Parteilinie inzwischen mehr am Kino und an großen Sportveranstaltungen orientieren, spielt das Theater in Zeiten politischer Veränderungen immer noch ein große Rolle. Am 25. August 1830 wurde das Publikum des Brüsseler Theatre Royal durch eine Strophe aus der Oper Die Stimme von Portici so aufgewühlt, dass es zu Tumulten im Theater kam, in deren Verlauf die aufgebrachten Zuschauer auf die Straße stürmten, um sich mit dem Volk zu einem Aufstand zu verbünden. 1989 besetzten Bürgerrechtler in Dresden das dortige Staatsschauspiel, um in permanenten Diskussionen ihren Widerstand gegen das SED-Regime öffentlich zu artikulieren.
In Zeiten revolutionärer Umwälzungen wird es also – das zeigen die Beispiele – immer das Theater sein, das besetzt wird. Fernseh- und Radio-Stationen sind Medien, die nur in eine Richtung senden, sich kaum als Empfänger eignen und kompliziert zu bedienen sind. Theater dagegen brauchen keinen Strom, um als Diskussionsort zu fungieren. Mit ihrer guten Akkustik und ihrem eleganten Interieur eignen sich Theater wunderbar für jeglichen Aufstand unplugged...
Nikola Duric
Die ganze Richtung passt uns nicht – Theater ist Politik ist Theater. Bis 30. März, geöffnet jeweils eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn, Kampnagel-Foyer
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