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Die Braut, der man nicht traut

von HENK RAIJER

Da hat Holland nun endlich einen Mann – nach Generationen monarchischer Weiberwirtschaft. Einen, der das seit 1890 währende Matriarchat im Hause Oranje-Nassau vielleicht schon bald beerben und so beenden könnte. Und was macht er, der Kronprinz Willem-Alexander (33)? Er lacht sich eine an, deren Herkunft nicht nur Regierung und Parlament, sondern die ganze Nation in Aufruhr versetzt. Und ihn noch dazu seinen Job kosten könnte. Der Grund für die Aufregung: Máxima Zorreguieta (29), die Auserkorene des Thronfolgers, ist nach Meinung aufrechter Demokraten die Tochter eines genuinen Kriegsverbrechers. Und für einen Schwiegervater, der als Erfüllungsgehilfe der argentinischen Militärjunta (1976–1983) „Blut an den Händen“ habe, so heißt es, sei in Holland nun mal kein Platz, wenn ein Kronprinz der künftigen Königin sein Jawort gibt.

Hochzeit nicht ausgeschlossen

Noch haben die Liebenden sich und der Öffentlichkeit nichts versprochen, geschweige denn, wie es die Verfassung vorschreibt, dem Ministerpräsidenten ihre Hochzeitspläne eröffnet. Aber schon vor dem Verlobungsbankett schlägt „der Fall Zorreguieta“ Premier Kok auf den Magen. Obwohl sich die Parlamentsfraktionen darauf verständigt hatten, vor der Verabschiedung des „Zustimmungsgesetzes“ (s. Kasten) auf Reaktionen aus dem Volk nicht einzugehen, hat der Aufruhr der Hinterbänkler gegen die Anwesenheit eines „Faschisten“ und „Kollaborateurs“ bei der Vermählung Wim Kok schon jetzt unter Zugzwang gesetzt. Wie soll er verfahren, wenn der Ernstfall eintritt? Wie glaubwürdig bleiben, wenn Jorge Zorreguieta, der als Agrarminister dem Gruselkabinett des General Videla angehörte, zwar auf ausdrücklichen Wunsch der Königin dabei sein, aber mit Rücksicht auf Opfer des Terrorregimes „möglichst nicht in Erscheinung treten“ soll?

Der Mann, dem die ganze Aufregung gilt, macht es dem Regierungschef fürwahr nicht einfach. Nach Bekanntwerden der Liaison seiner Tochter mit dem Oranierspross antwortete Jorge Zorreguieta vor einiger Zeit in einem Zeitungsinterview auf die Frage nach seiner Rolle in der Militärjunta: „Ich habe durchaus Verständnis für die Diskussion in den Niederlanden. Es war eine bewegte Periode in unserer Geschichte, und ich leugne meine Funktion im Prozess der Nationalen Reorganisation nicht. Aber Sie sollten wissen, dass ich in der damaligen Regierung nur für Agrarangelegenheiten zuständig war.“

Brautvater mit Dreck am Stecken

Was der Großgrundbesitzer und Ex-Agrarminister Jorge Zorreguieta (72) noch Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft in Argentinien als „Prozess der Nationalen Reorganisation“ bezeichnet, war nichts Geringeres als eine faschistische Diktatur, die zwischen 10.000 und 30.000 Regimekritiker verschleppt, gefoltert und ermordet hat. Politiker und Menschenrechtler in den Niederlanden meinen daher: Der Vater der Braut hat, wenn auch nur als Mitwisser, eindeutig Dreck am Stecken.

Kann so einer Ehrengast sein, wenn Hollands künftiger König heiratet? In der öffentlichen Diskussion um Pro und Contra einer Präsenz Zorreguietas bei der Trauungszeremonie gehen so manchem Flachland-Gaucho die Gäule durch. „Die damaligen Machthaber in Buenos Aires haben versucht, Ordnung in das schreckliche Chaos zu bringen, aber welche Regierung ist schon perfekt. Herr Zorreguieta wird geglaubt haben, Schritt für Schritt etwas zur Verbesserung der Lage beizutragen“, wirbt der Utrechter Erzbischof Simonis um Verständnis für die Situation beider Familien. Schlimm, das mit den vielen Toten, findet der Kardinal. Aber „das Mädchen“ könne doch nichts dafür. Eine Hochzeit sei Privatsache. „An so einem Tag gehört der Vater an die Seite seiner Tochter.“

„Eine Gefahr für die Demokratie“

Aber auch in der politischen Linken verbreitet sich das Virus „Anorexia Nervosa Máxima“ (De Limburger) rapide. Während sich Christdemokraten (CDA) und Rechtsliberale (VVD) der Diskussion über Máximas umstrittene Mitgift erst stellen wollen, wenn das „Zustimmungsgesetz“ vorliegt, tragen einige Sozialisten, Sozialdemokraten und Linksliberale schon jetzt ihre Privatmeinung zu Markte. „Es ist erschreckend, dass sich Máximas Vater nicht für das Mörderregime entschuldigt, dem er jahrelang angehört hat“, sagt etwa die Sozialdemokratin Margreeth de Boer. „Der Mann ist bei der Hochzeit des Prinzen nicht willkommen. Einer wie Zorreguieta ist eine Gefahr für die Demokratie.“

Längst geht es nicht mehr um die Vermählung des Kronprinzen mit der Argentinierin Máxima Zorreguieta. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Tradition der Niederlande als Verfechterin der Menschenrechte weltweit. So lahm die Reaktion 1978 war, als ein Häuflein Intellektueller den Boykott der Fußball-WM in Argentinien forderte, so heldenhaft stellen heute selbst ernannte Moralritter das Unrechtsregime und seinen Büttel an den Pranger. Und wenn schon ein prominenter Schriftsteller wie Mario Vargas Llosa im holländischen Fernsehen die Funktion Zorreguietas mit der eines „Ministers unter Hitler“ vergleicht, reicht so manchem Volksvertreter ein halbstündiger Blick in die Archive, um festzustellen, was sich zur Zeit der Junta in Argentinien abgespielt hat. Jan van Walsem, Abgeordneter der linksliberalen D 66: „Mit einem solchen Vater kann Máxima nicht meine Königin sein. Der hat sich wissentlich einem Regime verschrieben, das tausende Menschen umgebracht hat. Wenn Willem sie heiraten will, muss er seine Rechte auf den Thron abtreten.“ Nach Meinung der Sprecherin der Sozialisten (SP), Agnes Kant, wäre Zorreguieta „gut beraten, wenn er nicht hierher kommt. Der ist kompromittiert.“

Nun gibt es sicher jede Menge belastetere Schwiegerväter auf dieser Welt als Jorge Zorreguieta. Auch ist er kein zweiter Pinochet. Aber dass einer, der selbst dann im Amt blieb, als andere wegen der Gräueltaten der Videla-Schergen das Kabinett bereits verlassen hatten, davon nichts gewusst haben soll, will in Holland trotzdem vielen nicht in den Kopf. „Es kann nicht angehen, dass dieser Mann von den Gewalttaten der Militärs nichts mitbekommen hat“, sagt Roelf Haan, der während der Herrschaft der Generäle als Ökonom an der evangelischen Hochschule von Buenos Aires tätig war und für eine Menschenrechtsorganisation arbeitete. „Als Zorreguieta 1976 vereidigt wurde, schwor er auf eine Verfassung, aus der die Junta das Verbot der Todesstrafe für politische Häftlinge und der Folter gestrichen hatte. Schon aus diesem Grund will ich ihn hier nicht sehen“, so Haan. „Im Vergleich zu dem ist Jörg Haider ein Sozialdemokrat.“

Und das Volk? Einer Umfrage zufolge meinen 62 Prozent der Niederländer, das Glück des Paares sei Privatsache und der Vater der Braut solle sie an seinem Arm in die Kirche führen. 32 Prozent dagegen haben bereits das Tribunal gegen den vermeintlichen Henkersknecht eröffnet. Vier Szenarien werden derzeit gehandelt:

1) Das Parlament verweigert wegen des umstrittenen Herrn Papa seine Zustimmung, folglich verzichtet Willem auf seine Máxima, schmachtet eine Weile, heiratet eine andere und wird später König.

2) Der Kronprinz ehelicht mit Zustimmung des Parlaments seine Máxima, Papa Zorreguieta bleibt zu Hause, Willem behält seinen Anspruch auf den Thron.

3) Die Hochzeit findet statt, der Vater der Braut ist auf Einladung der Königin zugegen, sitzt aber während der kirchlichen Trauung im Seitenschiff und darf nicht mit aufs Familienfoto.

4) Willem heiratet auf Einladung der Zorreguietas seine Máxima in Buenos Aires und verzichtet zugunsten seines Bruders Constantijn auf den Thron.

Während Premier Kok die ganze Debatte für verfrüht hält und warten will, bis „der Kronprinz die Absicht äußert, einen wichtigen Schritt in seinem Leben zu tun“, gibt Beatrix schon mal die Marschrichtung vor. Im Herbst letzten Jahres statteten die Eltern Máxima Zorreguietas – von der man nicht viel mehr weiß, als dass sie als Betriebswirtin in einer New Yorker Bank arbeitet und am 31. Januar zu Beatrix’ Geburtstagsparty eingeladen war – Königin und Prinzgemahl einen Besuch ab. Kok sah keinen Grund, dem Ehepaar die Einreise zu verwehren. Seines Wissens sei der Mann kein verurteilter Kriegsverbrecher, noch werde er als solcher gesucht, sagte der Premier damals, es handele sich um einen „Privatbesuch“. Seither werfen Politiker auch aus der eigenen Partei dem Premier vor, am Gängelband der Königin zu laufen. Er versuche, den „Fall Zorreguieta“ totzuschweigen.

Maulkorb für den Kronprinzen

Das dürfte kaum gelingen, zurzeit wird täglich nachgeladen. Laut Amnesty International haben die Generäle mit den Gewinnen aus dem Export von Fleisch und Getreide ihren Militärapparat finanziert. Somit habe Zorreguieta der Junta die Basis für ihren schmutzigen Krieg verschafft, zunächst als Staatssekretär, von 1979 bis 1981 als Minister. Daher will ein Ex-Unesco-Botschafter, Maarten Mourik, noch in diesem Jahr einen internationalen Haftbefehl gegen Zorreguieta erwirken, „um zu verhindern, dass unser zukünftiger König einen Kriegsverbrecher zum Schwiegervater bekommt“. Zusammen mit Britta Böhler, der Anwältin des Kurdenführers Abdullah Öcalan, will er in Argentinien belastendes Material aufspüren.

Willem-Alexander selbst, dem Premier Kok in der Sache „Funkstille“ verordnet hatte, goss Anfang März Öl ins Feuer, als er die Medien ungefragt aufforderte, „bei der Beurteilung der Junta-Herrschaft so viele Quellen wie möglich zu prüfen“. Der Prinz verwies in dem Zusammenhang auf den Leserbrief Jorge Videlas in La Nación, mit dem der Exdiktator gegen die ihn belastenden Thesen des Buches „El Dictator“ zu Felde zog. Peinlich genug für Kok, dass der Aspirant-König so wenig Fingerspitzengefühl beweist. Für einen Leserbriefschreiber im Online-Forum der Zeitung De Volkskrant verspricht nur noch Szenario 4 eine Lösung: „Solange sich Máxima nicht von der Vergangenheit ihres Vaters distanziert, wie es ihre Schwester Dolores getan hat, sollen die beiden gefälligst nach Argentinien ziehen und dort heiraten. Wir nutzen die Gelegenheit und schaffen die Monarchie ab.“

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