: 20 Jahre Schwarm
Der Schwule Buchladen Männerschwarm mit zahlreichen Festlichkeiten zum Zwanzigsten ■ Von Jakob Michelsen
Seit 20 Jahren markiert ein liebevoll dekoriertes Schaufenster am Neuen Pferdemarkt eine der wichtigsten schwulen Institutionen Hamburgs: den „Buchladen Männerschwarm“. Das Jahr der Eröffnung 1981 fiel in eine „Zeit der Gründungen“, so Buchhändler Tobias Völker. Aus den linken Schwulengruppen der 70er Jahre heraus entstanden zahlreiche neue Initiativen, die sowohl der Hetero-Mehrheitskultur als auch der kommerziellen, verdruckst-unpolitischen Schwulenszene etwas entgegensetzen wollten. Die Theatergruppe „Familie Schmidt“ mit Corny Littmann provozierte die SpießerInnen an beiden Ufern, und 1980 fand die erste Hamburger „Stonewall“-Demo statt, die mit polizeilichen Prügeln endete. Henning Rademacher – heute Leiter des Speicherstadtmuseums – und Dieter Telge – später AL-Abgeordneter in West-Berlin – fanden, ein schwuler Buchladen sei genau das, was noch fehle. Vorbilder gab es bereits in Berlin und München. Nachdem geeignete Räume gefunden worden waren, konnte mit dem legendären „Hamburger Tuntenchor“ die Eröffnung gefeiert werden. Eine alte St. Paulianerin, die im Haus wohnte, guckte neugierig vorbei und meinte herzlich-lakonisch: „Na, das passt hierher.“
Das Angebot setzte sich sowohl aus kanonisierter Literatur – von Shakespeare bis Thomas Mann – zusammen als auch aus den Selbstverständigungs-Schriften der „Bewegung“. Damals wurde noch Vollständigkeit angestrebt, was heute gar nicht mehr möglich wäre, berichtet Völker. Der Buchladen war auch Treffpunkt politischer Schwulengruppen und niedrigschwelliger Anlaufpunkt – schließlich gab es damals in Hamburg noch keine schwulen Beratungsstellen.
Inzwischen ist manches „einschlägige“ Buch auch bei Thalia zu finden, aber nur dann, wenn es sich auch an ein breites Hetero-Publikum gut verkauft, und so ist die spezielle Kompetenz eines schwulen Buchladens immer noch gefragt. Der männlich-schwule Blickwinkel ist inzwischen erweitert um aktuelle Gender- und Queer-Debatten. Es gibt auch seit jeher ein „Lesben-Regal“; die schwulen Buchhändler maßen sich keineswegs an, Lesben „mitzuvertreten“, nicht wenige Lesben nutzen jedoch sowohl den „Männerschwarm“ als auch den „Frauenbuchladen“.
Die Männerschwärmer legen Wert darauf, nicht nur Buchverkäufer zu sein, sondern auch inhaltlich etwas zu bewegen: Neben diversen Lesungen gaben sie von 1987 bis 1992 die Literaturzeitschrift „Literatussi“ heraus und beteiligen sich seit 1993 an der Verleihung des Literaturpreises der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der schwulen Buchläden. Anfang der 90er Jahre beteiligte sich die „Männerschwarm“-Crew an Aktionen gegen die homophobe britische Gesetzesnovelle „Clause 28“, und der neu gegründeten schwulen Kneipe in der damals heiß umkämpften Hafenstraße wurde ein Tresen spendiert. Ein paar Mal im Lauf seiner Geschichte erhielt der Buchladen polizeilichen Besuch, mal wegen der SM-Literatur, mal wegen angeblichen Verkaufs von Kinderpornografie. Diesbezügliche Verfahren wurden jedoch eingestellt.
Reich werden die zurzeit drei Buchhändler und ein Azubi mit dem „Männerschwarm“ nicht, aber der Laden ist finanziell stabil. Die unhierarchische Struktur – alle drei sind gleichberechtigte Gesellschafter – hat sich erhalten. Seit 1989 werden hier auch eigene Bücher gemacht: Zunächst wurde aus Liebhaberei eine kleine Schriftenreihe begründet, der Erfolg von Ralf Königs „Bullenklöten“ ermöglichte dann 1992 die Gründung des rührigen Kleinverlags „MännerschwarmSkript“, der inzwischen eine eigene Stelle finanziert.
Der Internet-Buchhandel, sonst für kleine Buchläden eine Bedrohung, ermöglicht es den schwulen Buchläden in Hamburg, Berlin, Köln, München und Stuttgart, über einen gemeinsamen Webshop KundInnen in der „Provinz“ besser zu erreichen. Aber auch viele HamburgerInnen werden sicher weiterhin nicht auf die freundliche und kompetente Beratung am Pferdemarkt verzichten. Zumal wenn dann noch – wie gelegentlich an heißen Sommertagen – an der Kasse eine fächerwedelnde, gackernde Tunte über einem offenbar sehr komischen Roman sitzt und anste-ckend gute Laune verbreitet.
Jubiläumsprogramm: Literarisches Kabarett mit Dolly Cluster u. a., heute, 20 Uhr, Atrium; „Ein Lied für Männerschwarm“ mit Lilo Wanders, Blessless & Didine, Emmi u. a., 23.4., 20 Uhr, Schmidt Theater; Fotoausstellung Männerbilder, 13.5., 12 - 22 Uhr, Molotow; Geburtstagsparty, 23.6., 21 Uhr, Fundbureau
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