piwik no script img

Kopf oder Leber

Im Wiener Blut konnte man schon Cocktails trinken, als der Rest von Berlin noch gar nicht wusste, was das ist. Seit zehn Jahren zelebriert die Kreuzberger Kneipe das Trinken zwischen Sport und Performance. Vom Ausgehglück auf orangefarbenen Sofas

von JENNI ZYLKA

Wir wollen hier gar nicht von Stadtteilflucht reden. Von irgendwelchen 80er-Jahren, in denen in Kreuzberg alles anders war, von Mitte ganz zu schweigen. Oder von der türkischen Community, die verstärkt gekommen, und der „Alternativ-Szene“, die, aus welchen Gründen auch immer, gegangen ist.

Sondern von einer Kneipe, die geblieben ist. Das „Wiener Blut“ hat seit dem 16. Juni 1989 täglich geöffnet. Außer am 1. Mai jeden Jahres: Da gehen Herr und Dame des Hauses, Ludger Schallenberg und Claudia Aumüller, mit ihren FreundInnen und Lieblingsgästen grillen. Damit die Polizei nicht, wie es ein paar Mal passiert ist, DemonstrantInnen bis in die Kneipe verfolgt und den gemütlichen Arbeitersolidaritätsnachmittag mit Tränengas und Helmen versaut.

Schalli und Aui, die so heißen, weil Menschen jenseits der 30 oft mit Diminutivformen ihrer Nachnamen aus der Schulzeit in die Erwachsenenphase geglitten sind, meinen’s gut mit ihren Gästen. Damals, in den 90ern, als das Wiener Blut das war, was Stadtmagazine „Szenekneipen“ nennen und was in komischen kleinen Berlin-Reiseführern ein gemaltes Auge als Symbol für „Prominente Gäste“ abgestaubt hätte, damals war es natürlich in erster Linie voll. Jeden Abend. Viel trinkende, Musik liebende, Zeit totschlagende Hipsters drängelten sich in zwei schmalen Räumen mit grünen, später roten Wänden samt Gimmicks: silberne Rosen waren, einmalig in einer fast plüschlosen Zeit, eigenhändig per „Strukturroller“ von der Chefin mit dem Händchen fürs Dekorative an die Wände gerollert worden.

Und es gab ein Begleitprogramm, das angesichts der „Club-Performance-Musik-Show-Party-und-alles-andere-auch-noch“-Ambitionen der heutigen Abendveranstaltungen gerdezu archaisch wirkt: „Saufen und Laufen“ hieß ein Wettbewerb, bei dem, na was wohl, verschiedene Mannschaften unter ständigem Bierverzehr gegeneinander anliefen, bis der Kopf (oder die Leber) platzte. Trinken wurde in der Wiener Straße gegenüber der Feuerwehr eben zelebriert, wie es sich für eine Kneipe gehört.

Heute wird vermutlich nicht weniger getrunken, aber es werden mehr Komponenten gemischt. Die Cocktailbar hat die halbe-Liter-Pils-für-3-Mark-Theken, jedenfalls im so genannten „In-Bereich“, fast verdrängt. Überall trinkt man stattdessen mindestens Daiquiris. Im Wiener Blut gibt es die auch. Seit zehn Jahren. Damals wurde Donnerstags Alex, der Cocktailmixer, angeheuert, dem oft keiner etwas abkaufen wollte. War den Gästen zu chi-chi. Kann man sich kaum noch vorstellen heute.

Genau wie die Tatsache, dass Fußball (spielen und gucken) in diesen Independent-Musik-Trink-Hipster-Kreisen als prollig und unfein galt. Das Wiener Blut hat unter Anleitung von SV-Meppen-Fan Schalli trotzdem die Bundesliga und Meisterschaften gezeigt. Und eine eigene Mannschaft gegründet, schon damals Alt-Herren, die auch heute noch trainieren.

Dann, als immer mehr Leute, obwohl sie ja angeblich alle weniger ausgingen und mehr arbeiteten, nach Prenzlauer Berg und Mitte zogen, weil da die Luzie mit dem Bär im Schlafrock abgeht (oder so), da wurde es so richtig ruhig im Wiener Blut. Aui und Schalli probierten verschiedene Konzepte aus, Alt- und NeukreuzbergerInnen zu ihrem Kneipenglück zu zwingen: leise Konzerte, Disco, DJs, Dias, all der schöne Ausgehschmarrn. Geholfen hat es mehr und weniger. Das neue Jahrtausend ist halt edler als das alte, und die Nachtunterhaltung ebenfalls.

Aber das Symptomatische am neuen Jahrtausend ist eben auch, dass man nicht so genau weiß, wohin es will. Und vielleicht behaupten darum plötzlich wieder Leute, dass man noch mal mit Kreuzberg rechnen müsse: Wer partout etwas gegen Eintritt, Touristen und Riesenclub-Atmosphäre hat, kommt wieder nach Kreuzberg. Geht in den Bierhimmel Kuchen essen, in den Privat Club tanzen, in die Ankerklause (Schallis und Auis anderes, sozusagen dickeres Standbein) flirten und ins Wiener Blut trinken. Es ist sogar oft richtig voll auf den orangenen 70er-Jahre-Sofas: Allsamstäglich zum Beispiel haben ambitionierte Menschen mit gutem Geschmack den „Peng! Krimiclub“ ins Leben gerufen. Zu schöner, alter Krimimusik lesen Autoren, werden Kriminal-Dia-Storys an die Wand geworfen und wird verschämt getanzt.

In Wirklichkeit wird sich so ein heißer Abend in einer alten Bar in Kreuzberg nicht wesentlich von einem heißen Abend in einer neuen Bar in Mitte unterscheiden, weder im Gesprächsinhalt noch in den Sprechenden. Ach doch, vielleicht erzählen die Kreuzberg-Gäste lustigere Geschichten aus der Vergangenheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen