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Von allen Ratten gehetzt

Selbst in der Autometropole Paris fahren immer mehr Menschen Rad – und laufen ständig Gefahr, unter die Räder zu kommen. Jetzt wollen Politiker und Planer den Radlern mehr Freiräume schaffen

aus Paris ALEXANDER MUSIK

Zweieinhalb Jahre wohnt Anna Kasparczyk schon in Paris. Vor einem Jahr hat sie genügend Mut gefasst, um von der Métro aufs Fahrrad umzusteigen. „Fahrrad fahren in Paris, das ist das letzte Abenteuer“, sagt die junge Deutsche, die nun alle Wege mit dem Fahrrad zurücklegt.

Seit einiger Zeit ist dieses an sich ziemlich unfranzösische Transportmittel nicht mehr ganz so exotisch in Paris. Mittlerweile ist auch das Radwegenetz in der Hauptstadt auf 130 Kilometer angewachsen. Sonntags sind die Schnellstraßen entlang der Seine-Ufer für den motorisierten Individualverkehr bis 17 Uhr gesperrt. Dann geben dort Scharen von Radfahrern und Inline-Skatern Ton und Tempo an. Im Kampf gegen die Luftverschmutzung hat Bürgermeister Jean Tiberi 1996 begonnen, ein wenig von der Philosophie des „tout-voiture“ – alles mit dem Auto, alles fürs Auto – abzurücken. Neben den Hauptachsen in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung haben die Bürgermeister der 20 Pariser Arrondissements immer neue Fahrradwege ausgewiesen.

Nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagen Tiberis Kritiker. Die Pariser Grünen fordern, die dem Auto zugestandene Fläche zu halbieren. Und der Sozialistenführer Bertrand Delanoë will „den Boulevard des 21. Jahrhunderts“ installieren – mit einer begrünten Trennung zwischen „ein oder zwei Pkw-Fahrspuren“ und „espaces civilisés“, einer Art „Bürgerräumen“, reserviert für Fußgänger, Kinderwagen, Fahrräder, Motorroller und Taxen.

Doch auch ohne solche Visionen haben sich die Pariser ihrer eingemotteten Fahrräder erinnert. Auslöser war der große Metrostreik im Dezember 1995. 23 Tage lang ruhten Busse und Bahnen. Mit der Folge, dass die Straßen noch verstopfter waren als ohnehin. So mancher, der damals das Fahrrad zwangsläufig nutzte, ist dabei geblieben. Laut einer Umfrage des Umweltmagazins „Environnement magazine“ vom vergangenen Dezember fordern 79 Prozent der Pariser Bevölkerung eine Eindämmung des Autoverkehrs.

Trotzdem ist es nach wie vor ein Vabanquespiel, sich als Fahrradfahrer im hektischen Pariser Verkehr zu behaupten: Zebrastreifen gelten nichts, rote Ampeln und Einbahnstraßen haben eher Empfehlungscharakter, und die lärmende Flut der Motorroller nutzt jede Lücke aus – auch die Fahrradwege. „Der natürliche Feind des Fahrradfahrers sind die Motorroller“, sagt denn auch Anna Kasparczyk, „das sind wirklich die Ratten der Straße.“ Das zweite Übel seien die Busse, denn nicht alle Radwege sind durch einen Bordstein von der Fahrbahn getrennt. Die meisten sind Busspuren, die auch für Radfahrer freigegeben sind. Da muss man schon manchmal mal vom Sattel steigen, um von den Bussen nicht gerammt zu werden. „Ich gehe immer davon aus, nicht gesehen zu werden, das ist die Grundhaltung des Radfahrers in Paris“, sagt Anna Kasparczyk.

Mittlerweile hat sich das Rad in Paris so weit etabliert, dass mehrere Kleinunternehmen Fahrräder verleihen und ein ganzes Spektrum von touristisch attraktiven Radtouren anbieten. „Paris à vélo, c'est sympa!“ heißt das bekannteste, das am Boulevard Bourdon nahe der Bastille residiert. Genau dort, wo sich am jeden ersten Samstag im Monat Radfahrer – und Motorroller – versammeln, um auf ihre Rechte aufmerksam zu machen.

Anna Kasparczyk ist schon einmal von einem Rollerfahrer in einen Unfall verwickelt worden. Gott sei Dank ist nichts passiert. Dem Fahrrad hält sie die Treue, schon um nicht in die „Sardinenbüchse der Métro“ zurück zu müssen: „Mein erster Radfahrtag hat mir bestätigt, dass Fahrrad fahren ein Freiheitsgefühl ist.“

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