Der Redliche

aus Weilheim HEIDE PLATEN

Der Mann ist, wie er ist. Er kann nun einmal nicht aus seiner Haut. Korrekt vom tief gefurchten, geraden Scheitel über den kantigen, mächtigen Kopf bis hinunter zur konservativen Sohle. Erwin Teufel verstrahlt Langeweile, keine Spur von Charisma. So ist er nun einmal, auch in der Stadthalle von Weilheim an der Teck am Rande der Schwäbischen Alb, da, wo das Herz der baden-württembergischen Provinz traditionell schwarz schlägt. Freundlich sind die Leute hier, behäbig auch. Dem roten Trollinger wird schon am Nachmittag reichlich zugesprochen, serviert in handlichen Henkelgläsern. Die Saaltöchter tragen Tracht.

In der einst bitterarmen Region wurde Schiefer abgebaut. Davon zeugt ein Fossil des Ichthyosauriers im Foyer der Halle, 185 Millionen Jahre alt. Gegen den, sagt ein Besucher, „sieht der Teufel doch noch richtig jung aus.“ Nein, sagen die Einheimischen, auf den Erwin lassen sie nichts kommen. Hier passt er her. Alles geht langsam, gemütlich, pragmatisch seinen Gang.

Auf die Minute pünktlich

Erwin Teufel kommt, pünktlich auf die Minute. Und keiner guckt so richtig hin. Kein Starauftritt, kein Gedränge, kaum Kameras. Die Polizeikollegen des Ortskandidaten haben die Skulptur der steinernen nackten Dame im Foyer dezent mit einer Uniformjacke bekleidet. An der Garderobe trägt Teufel sich in das Unterschriftenbuch der Hilfsorganisation „Weißer Ring“ ein: „Ich bin auf Seiten der Opfer und danke für die Arbeit aller Bürger im Weißen Ring“, zirkelt er in kleinen, zierlichen Buchstaben. Teufel schüttelt die Hände der Honoratioren, geht klobig, fast linkisch an die Tische. Das ist kein Bad in der Menge. Hier ist einer ganz bei sich und seinesgleichen, fühlt sich zu Hause. Und freut sich mit fast kindlichem Lachen über die hiesige Tanzgruppe, sehr jung, lateinamerikanisch und leicht geschürzt. Teufel patscht mit schweren Händen Beifall. Ein Foto mit dem Ministerpräsidenten für die Tanzgruppe, bitte? Der steht leicht verlegen auf, kriegt auf seine alten Tage tatsächlich einen roten Kopf und murmelt leise ein „Grüß Gott!“

Still ist es im Saal, während Teufel seine einstündige Wahlkampfrede abspult, wie immer in freiem Vortrag, wie immer seit Wochen nach demselben Schema, gespickt mit Zahlen, Daten, Fakten. Die hat er im Kopf. Bei denen steigert sich seine Stimme vom stetig plätschernden Gefälle beinahe zur Leidenschaft. Dann darf artig geklatscht werden. Erwin Teufel ist, unbestritten, ein Phänomen. Glaubte man den Medien, den Meinungsmachern, den seit Jahren um die Thronfolge kämpfenden Kritikern auch aus der eigenen Partei, dann wäre Teufel längst im Ruhestand. Zu alt, zu altmodisch. Der Weilheimer CDU-Ortsvorsitzende Michael Wakenhut ist es, der das Geheimnis lüftet. Die Eigenschaften, Tugenden nennt er sie, der „fleißigen und tüchtigen Menschen“ auf der Alb seien „Bodenständigkeit, Beharrlichkeit und Bescheidenheit“. Und eben dafür stehe auch die Regierung Teufel. Dauerhaftigkeit gegen Veränderung. Der Bürgermeister ist stolz darauf, dass er erst der zweite im Amt ist „seit 1937“. Das nennt er Kontinuität.

Karl Zimmermann, der örtliche Landtagskandidat, ist Kriminalhauptkommissar, in der Nachbarstadt Kirchheim geboren und nennt sich selbst ein „bodenständiges Gewächs der Region“. Kriminalfilmexperten wissen: Die höchsten Einschaltquoten haben nicht die schillernden Heldenfiguren und die Haudegen, sondern die Fernsehkommissare, die unscheinbar sind, kein ausgeprägtes Eigenleben entwickeln und so Projektionsfolie für das Publikum bleiben.

Die Wahlkampfberater haben Teufel deshalb gegen die Kritik verteidigt und das Buchhalter-Image als Strategie empfohlen. Teufel soll er selbst bleiben. Der „Zahlenwust“ passe zu ihm und komme gut an, signalisiere er doch solide Zuverlässigkeit statt Schwarzgeldaffäre. Die Wünsche der Versammelten gleichen denen des Ministerpräsidenten tatsächlich bis aufs Haar: Eine neue Messe bei Stuttgart auf den Fildern soll auch die abgelegene Region beleben, Stuttgart 21, ein Stadtentwicklungsprojekt samt Großbahnhof, müsse her. Aber weil man auch in Weilheim wünschen darf, sollte es – bitte schön – dazu endlich auch noch ein eigener Bahnhof sein.

So soll es bleiben

Teufel lobt die Regierung Teufel. Niedrige Arbeitslosenquote, niedrige Kriminalitätsrate, neue Firmenansiedlungen, vorbildliche Kindergärten, Schulen und Universitäten. Seine Hände häufen die Erfolge auf dem Stehpult auf, legen sich dazwischen immer wieder wie zum Gebet aneinander. „Das hört sich an wie eine Statistik. Das ist aber viel mehr als eine Statistik“, sagt der Ministerpräsident und zelebriert seine Erfolgsbilanz. Baden-Württemberg liegt vorn, nur eben doch nicht auf dem ersten Platz. Da ist er redlich, denn da steht inzwischen Bayern. Aber auch in Schwaben ist alles gut. Und: „Arbeit ist nicht alles im Leben, aber ohne Arbeitsplätze ist alles andere nichts“.

Die Menschen im Saal blicken dankbar drein, nicken zustimmend. „Ja, ja, so ist es. So ist es gut, und so soll es bleiben.“ Da steht einer, der ihnen nichts vorspielt, einer ohne Allüren, kein Einheizer, einer, dem sie glauben und vertrauen wollen.

Teufel lobt seine Wähler: „Eine solche Harmonie auf politischen Veranstaltungen bin ich sonst nicht gewohnt.“ Das ist eben ein anderes Gefühl als während einer Großveranstaltung zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase Anfang März in Stuttgart. Nicht einmal zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und der Parteivorsitzenden Angela Merkel, mit Musik und Lightshow nach US-amerikanischem Vorbild, konnte Teufel die leeren hinteren Stuhlreihen in der Stuttgarter Messehalle auf dem Killesberg füllen. Erst stellte ihn der Moderator statt als den Titelverteidiger als den Herausforderer vor. Und dann wurde bei Stoiber viel mehr geklatscht als bei ihm.

Da drücken dann die letzten Umfrageergebnisse umso mehr. Zwar stellen sie den Wahlsieg der CDU, die in Baden-Württemberg seit 48 Jahren an der Macht ist, nicht in Frage. Die Prozentzahlen für Teufel sinken jedoch stetig. Der Zuspruch für die junge SPD-Kandidatin Ute Vogt steigt ausgerechnet bei Beamten und Selbständigen. Würde direkt gewählt, erhielte sie inzwischen 40, Teufel 43 Prozent. 47 Prozent der Bevölkerung wünschen sich inzwischen ohnehin einen Regierungswechsel im Südwesten. Das erfragte Infratest Dimap seit Januar. Der Wahlausgang sei, stellten die Meinungsforscher fest, diesmal offener denn je. Es sei noch alles drin: Schwarz-Gelb wie gehabt, Schwarz-Rot, Rot-Grün-Gelb, Schwarz-Grün. Teufel sagte, er wolle „keine Umfragen mehr gewinnen, sondern Wahlen“. Fiele er am 25. März, wie prognostiziert, unter 40 Prozent zurück, dann wären seine Tage als Ministerpräsident gezählt. Immer neue Kronprinzen und Königsmörder werden seit Jahren gehandelt. Noch am Wahlabend stünde vermutlich der 47-jährige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Günther Oettinger, zur Nachfolgedebatte bereit.

Groll im Geberland

Da sei Weilheim vor. Hier muss Teufel nicht brillieren, hier stimmt, was auf den Wahlplakaten unter dem väterlich zurückhaltend lächelnden Konterfei des Zahlenjongleurs steht: „Erwin Teufel – Unsere Nr. 1“. Die Rede ist schlicht gehalten. Dem Lob folgt die Schelte auf die Politiker in Berlin. Ohne Höhen und Tiefen geißelt Teufel seine Gegner. Die Rentenpläne, die zu Lasten der Frauen gehen, die Steuerreform und, das vor allem, die Ökosteuer. Von der seien „alle betroffen, Taxifahrer, Pendler, Busunternehmen, Spediteure, Gärtner“, der ganze schwäbische Mittelstand eben. Das Motto ist plakatiert worden: „Wir zeigen's denen in Berlin“. Damit war auch der Generalsekretär Laurenz Meyer gemeint, der sich immer wieder in die Landespolitik eingemischt hat mit lauten Gedanken über Schwarz-Grün und über die Begrenzung der Amtszeit von Politikern.

Teufel steigert sich zum Ende seiner Rede, die Bewegungen werden fast tänzerisch, als er den fleißigen Schwaben wie sich selbst aus dem Herzen spricht. Da wird ausgerechnet der Finanzausgleich der Länder im Ländle plötzlich zum Höhepunkt und zum furiosen Schlussakkord. Immer nur Geber sein, für andere zahlen und gar nichts davon haben, das geht den braven Baden-Württembergern schon lange über die Hutschnur. „Ha!“, ruft Teufel in den begeisterten Saal, „da wird doch jedes System pervers!“ Und: „Möchten Sie mit irgendeinem SPD-geführten Land tauschen?“ „Ah ba, ah was!“, tönt es zurück. Teufel lächelt wohlwollend, denn: „Die Frage stellen heißt sie eigentlich beantworten.“ Nach wohltemperiertem Beifall geht es zur nächsten Wahlveranstaltung.

Was aber mögen sich die für den Blumenschmuck der Halle Verantwortlichen gedacht haben? Heimlicher Widerstand, subtile Subversion in Weilheim? Das Gebinde zu Teufels Füßen prangte in den Ampelfarben Rot-Gelb-Grün.