: Rudi rettet Wasserball
Hagen Stamm ist wie weiland Völler zu seinem Job als Bundestrainer gekommen – weil ihn sonst keiner machen wollte. Nun hat er die deutsche Mannschaft immerhin zur EM geführt
aus Berlin FRANK KETTERER
Rudi Völler trägt blondes Haar, mächtige Schultern und ein blaues T-Shirt, auf dessen Rückseite mit weißen Buchstaben „Deutschland“ gepinselt steht. In seinem Verein nennen Rudi manche sogar Franz, was den Mann aber nicht weiter stört (obwohl es dazu durchaus Grund gäbe). „Das sind doch nette Vergleiche, das ehrt mich doch“, findet vielmehr Franz-Rudi, der eigentlich Hagen Stamm heißt.
Ziemlich passend sind sie obendrein, weil dieser Hagen Stamm für den Wasserballsport in Deutschland in etwa so eine Strahlkraft besitzt wie Völler und Beckenbauer im Fußball zusammen: 323 Länderspiele hat der 40-jährige Berliner zwischen 1979 und 1992 für Deutschland absolviert, dabei mehr als 750 Tore geworfen, war zwei Mal Europameister, 1981 und 1989 nämlich, nicht zu vergessen der dritte Platz bei Olympia, 1984 war das. Zudem ist Stamm Präsident von Spandau 04, so etwas wie das Bayern München im Wasserball, – und seit kurzem auch noch Bundestrainer. Wie es dazu kam, erinnert wiederum frappierend an Völlers Bundestrainerwerdung: Die Erfolge von einst waren dem deutschen Wasserball immer nachhaltiger flöten gegangen, die Stimmung obendrein. Und als maßgebliche Herren zusammensaßen und darüber berieten, wer ihren Sport hierzulande überhaupt noch zu retten in der Lage sei, blieb am Ende nur ein Name übrig: Hagen Stamm. „Sonst wollte es halt keiner machen“, sagt der lapidar.
Die Feuertaufe hat der Bundestrainer am Wochenende in der Sportschwimmhalle Berlin-Schöneberg erst einmal bestanden. Dort haben sich die deutschen Wasserballer für die Europameisterschaften Mitte Juni in Budapest qualifiziert, mit Triumphen über Rumänien (8:6) und Weißrussland (10:3) standen sie bereits vor der letzten Begegnung gegen Polen (10:7) als Sieger des EM-Qualifikationsturniers fest. „Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung“, befand Stamm, zudem konnte er seine vor dem Turnier gehegte Befürchtung zu den Akten legen, im Falle eines Scheiterns als „kürzester und erfolglosester Bundestrainer aller Zeiten“ in die Geschichtsbücher des Wasserballs einzugehen. Vielmehr rechnete der 40-Jährige bereits am Samstag seine vorläufige Bilanz hoch: „Fünf Spiele, vier Siege – das ist doch in Ordnung“, notierte sich Stamm da unter den Strich. Durchaus versehen mit dem Wissen, „dass sich das noch in diesem Jahr ändern wird“, weil die Krise bei den Wasserballern mindestens so tief ist wie das Wasser nebenan im Sprungbecken – und sich nicht in ein paar Monaten richten lässt, was über Jahre verschludert wurde.
„Wir haben uns eine unprofesionelle Jugendarbeit geleistet“, nennt Stamm eines der Hauptversäumnisse, wohl auch deshalb, weil viele Bundesligavereine es lange Zeit für bequemer und Erfolg versprechender hielten, etablierte Akteure aus dem Ausland anzuheuern. „Es war und ist billiger, einen fertigen Spieler einzukaufen, als einen jungen zehn Jahre und länger kontinuierlich aufzubauen“, weiß Stamm als Vereinspräsident nur zu gut, für die Entwicklung der Nationalmannschaft war dies nicht eben förderlich. Der Rest ergibt sich bei Randsportarten wie Wasserball teufelskreisartig: Keine Erfolge, kein Fernsehen; keine Fernsehzeiten, keine Sponsoren – und somit kein Geld. „Ganz schlecht“, sagt Stamm, sei es um die finanzielle Ausstattung des dem Deutschen Schwimmverband (DSV) unterstellten Wasserballs bestellt, „ganz dringend notwendig“ deshalb ein eigener Hauptsponsor, „der uns unterstützt.“ Dabei würde laut Bundestrainer schon eine Viertelmillion im Jahr ausreichen, um ein paar wichtige Dinge auf den Weg bringen und ein „Konzept für Athen 2004“ auf die Beine stellen zu können.
Denn nur darum geht es Stamm, selbst Medaillengewinner bei Olympia, schon jetzt, auch wenn er nach dieser Saison das auf Honorarbasis ausgeübte Bundestraineramt bereits wieder abgeben wird, so jedenfalls war das bei Amtsantritt ausgemacht. „Ich möchte meinem Nachfolger eine Mannschaft übergeben, mit der er mindestens bis zu den nächsten Olympischen Spielen arbeiten kann“, sagt Stamm, schon bei der erfolgreichen EM-Qualifikation am Wochenende hat er das wahr gemacht: Die „jüngste Nationalmannschaft aller Zeiten“ (Stamm) schickte der Bundestrainer da ins Becken, ausgestattet mit wenig Erfahrung, aber großer Begeisterung. „Die Rumänen hatten dreimal so viele Länderspiele auf dem Buckel wie wir, aber wir haben mehr Herz gezeigt“, stellte Stamm schon nach dem Auftaktsieg äußerst zufrieden fest. Auch Mannschaftskapitän Patrick Weissinger (Spandau 04) glaubte erkannt zu haben, dass das „eine völlig andere deutsche Mannschaft war als die, die im Vorjahr bei der Olympiaqualifikation noch gegen Rumänien untergegangen ist“. Wie überhaupt die Stimmung im Nationalteam derzeit so gut sei wie schon lange nicht mehr, auch wenn es da spielerisch durchaus noch Defizite gibt. Dieses Problem kennt übrigens auch Rudi Völler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen