Weltgrößte Bohrinsel auf der Kippe

Unglück auf brasilianischer Erdölplattform kostete zehn Menschenleben. Die Insel droht nun mit 1,5 Millionen Litern Öl und 1.200 Kubikmetern Diesel in ihren Tanks zu sinken. Schlechte Ausbildung und Schlampereien beim Bau vermutete Ursachen

aus São Paulo GERHARD DILGER

Seit Samstag versuchen Spezialteams, durch die Zufuhr von Stickstoff und das Abpumpen von Wasser das Sinken der größten Ölplattform der Welt zu verhindern. Drei Explosionen erschütterten am Donnerstag die Bohrinsel P-36, die rund 190 Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro im Südatlantik steht. Dabei kamen zehn Ölarbeiter ums Leben. Seitdem hat sich die 40-stöckige Plattform mit einem Gewicht von 31.400 Tonnen geneigt und ist um über vier Meter abgesackt. Sollte der Koloss sinken, könnten bis zu 1,5 Millionen Liter Öl und 1.200 Kubikmeter Diesel auslaufen.

Neben einem Rekordgewinn von rund 11 Milliarden Mark hat Brasiliens staatliche Betreiberfirma Petrobras bereits im vergangenen Jahr drei große Umweltkatastrophen produziert. So flossen oberhalb der Iguaçu-Wasserfälle im Süden des Landes vier Millionen Liter Rohöl in zwei Flüsse. Die Ursache des jüngsten Unglücks ist noch unklar. Fachleute vermuten Konstruktionsfehler. Schon bei der Testphase vor der Inbetriebnahme sei geschlampt worden, behaupteten Gewerkschafter und Ingenieure. Die 500 Millionen Dollar teure Bohrinsel war in Italien und Kanada fertig gestellt worden und erst seit einem Jahr in Betrieb. Oppositionsführer Luiz Inácio Lula da Silva wollte selbst Sabotage nicht ausschließen. „Diese Unfälle sind Teil eines Manövers, um die Firma zu demoralisieren und eine günstige Stimmung für die Privatisierung herzustellen“, meinte Lula. Die Firmenleitung verwehrte sich gegen derartige Verschwörungstheorien.

Zwingender erscheint der Zusammenhang, den Kritiker zwischen dem zunehmenden Einsatz von Subunternehmen und der steigenden Zahl an Unfällen herstellen. In den letzten zehn Jahren wurde die feste Petrobras-Belegschaft stark reduziert und seit 1998 starben in der gesamten brasilianischen Erdölindustrie 81 Menschen. Selbst Petrobras-Vorsitzender Reichstul räumte ein, dass das Ausbildungsniveau der Externen in der Regel niedriger ist. Von den 175 Arbeitern, die sich zum Zeitpunkt der Explosionen auf der P-36 befanden, war nur jeder Dritte ein Petrobras-Angestellter. An diesem Trend hat auch das zwei Milliarden Mark teure Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltprogramm nichts geändert, das die Firma vor einem Jahr vorstellte. Eine zu starke Ausrichtung auf Profite sei „bei einem Erdölkonzern ein Fehler“, meinte ein früherer Petrobras-Chef.