piwik no script img

Studienzeiten werden immer länger

Eine neue Studie des Wissenschaftsrats zeigt, dass nur wenige Studierende die Regelstudienzeit schaffen. Hochschulforscher wissen, dass die Trägheit nicht nur mit den Unis zu tun hat: Denn der Studentenausweis öffnet oft die Tür zu billigen Jobs

von ISABELLE SIEMES

Friedrich Nietzsche wurde schon mit 25 Jahren Professor. Heute wird im Land der Dichter und Denker viel länger studiert. Die Absolventen der Universitäten sind hierzulande im Durchschnitt 26 Jahre alt und haben mehr als zwölf Semester auf dem Buckel. Das zeigt eine Studie, die der Wissenschaftsrat gestern veröffentlicht hat. Die Statistik über die langen Studienzeiten, vom Spiegel bereits am Montag publikumswirksam lanciert, soll offenbar die Debatte um die Studienreformen anheizen.

Dietmar Goll, der Sprecher des Wissenschaftsrats, wartet nämlich mit einer Empfehlung auf, die gezielt ein umstrittenes Reformelement in den Unis voranbringen wird: die schnellen gestuften Studiengänge. „Wir empfehlen den Bildungsministern Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen“, sagt Goll. Das soll die deutschen StudentInnen so schnell wie etwa die Kommilitonen in Großbritannien machen: Die legen schon mit 23 Jahren ihren Bachelor (BA) ab.

Der steilen Karriere Nietzsches können deutsche Studierende allerdings auch dann nicht nacheifern. Denn der Studienfachwechsler wurde 1869 ohne Promotion und ohne Habilitation zum Professor berufen. Nicht mal einen Studienabschluss hatte er. Solche Blitzkarrieren verhindern heute ausgefeilte Studienordnungen. Sie schreiben minutiös jeden Schein, jede Vorlesung, Zwischen- und Teilprüfung vor. Bei den neuen BAs und MAs wird das ähnlich sein. Aber die Abschlüsse, von denen es bislang rund 350 gibt, werden den Absolventenausstoß der Unis beschleunigen – so hoffen es die Wissenschaftsminister.

Dass ein schnelleres Studium für Akademiker uneingeschränkt größeren Berufserfolg verspricht, bezweifelt Ulrich Teichler vom Zentrum für Hochschulforschung der Uni Kassel: „Praxiserfahrung, die neben dem Studium gesammelt wird, ist heute wichtig für den Berufseintritt“, relativiert Teichler den Sinn der Wissenschaftsrats-Studie. Seine Untersuchungen zeigten, dass die Nebenjobs der Studierenden zu mindestens 50 Prozent mit der späteren Arbeit zusammenhingen. Zudem sei nicht belegt, dass Studenten, die in der Regelstudienzeit abschließen, Vorteile hätten. Im Gegenteil: Die Nase vorn haben oft diejenigen, die Berufserfahrung vorweisen können, berichtet der Doyen der Hochschulforschung in Deutschland.

Auch die Uni Duisburg, die laut Wissenschaftsrat in Germanistik mit der extrem langen Studiendauer von 17 Semestern glänzt, liefert Erklärungen. Literaturwissenschaftler Herbert Kaiser sagt, dass Duisburg in der ganzen Bundesrepublik den höchsten Anteil so genannter „Arbeiterkinder“ habe. „Von denen müssen viele neben dem Studium jobben.“ Zudem unterbrächen Studierende gerade in den Geisteswissenschaften, die keine spezifischen Berufsbilder vorgeben, häufig ihr Studium – um sich erst mal in der Praxis zu orientieren. Ihren Studienausweis behalten sie aber – wegen billiger Sozialversicherung und günstigem Semesterticket.

Durch die neue Statistik, die den kontinuierlichen Anstieg der Studiendauer seit Mitte der 90er dokumentiert, geraten die Unis hierzulande dennoch unter Druck. Viele Hochschulen greifen daher jetzt schon zu Bereinigungen: „Manche streichen einfach die Langzeitstudenten aus der Statistik“, weiß Ulrich Teichler. Andere haben die Karteileichen mit mehr als 25 Semestern aber noch in ihren Zahlenkolonnen. Die so genannten Langszeitstudenten sind aber meist nur noch aus Arbeitsgründen eingeschrieben. Studi-Jobs werden gut bezahlt – weil sie für den Arbeitgeber wegen der Sozialabgaben billiger sind.

So unterschiedlich die Positionen im Ranking des Wissenschaftsrats, so verschieden sind auch die Studienordnungen der einzelnen Fächer in Deutschland. Manche Unis verlangen für das Lehramt in Germanistik oder Geschichte ein Latinum, andere nicht. Die Lateinlaien müssen dann für den Schein drei Semester pauken.

Beim Lehrerstudenten ist die Regelstudienzeit mit neun Semestern inklusive Prüfungszeit ohnehin ein kafkaeskes Kabinettstück. Denn das staatliche Prüfungsamt schreibt alle Termine mit Tag und Uhrzeit vor. Und die erstrecken sich, wie in Düsseldorf, schon mal über drei Semester mit langen Wartezeiten zwischen Klausuren und mündlichen Prüfungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen