Atomkonsens? Ist in Arbeit . . .

Seit einem drei viertel Jahr versuchen Regierung und AKW-Betreiber, den vereinbarten Atomausstieg endgültig zu regeln. Es wird noch länger dauern

von MATTHIAS URBACH

Nächste Woche also wird er nach Gorleben kommen, der Castor, inzwischen das Symbol für die Atomkraft schlechthin. Der Transport, sagt die Bundesregierung, muss sein, auch um den Ausstieg aus der Atomkraft zu sichern, der mit dem am 14. Juni vergangenen Jahres abgezeichneten „Atomkonsens“ zwischen den Vorständen der AKW-Betreiberfirmen und der Bundesregierung vereinbart wurde. Doch immer noch nicht ist die Austiegsvereinbarung abschließend unterschrieben.

SPD und Grüne haben diesem Vorvertrag bereits zugestimmt, die Aufsichtsräte der AKW-Betreiber verweigern bislang ihre Unterschrift. Vor allem möchte die Industrie zunächst die Novelle des Atomgesetzes sehen, die den Atomkonsens in Paragraphen gießen soll. Außerdem solle das Endlager Gorleben nicht durch „Verzögerungsmaßnahmen“ gänzlich gefährdet werden.

Solche Worte nähren nur die Zweifel vieler Atomgegner, die nun in Gorleben blockieren wollen. Ein unbefriedigender Atomkonsens, der noch nicht mal unter Dach und Fach ist; da lässt sich leicht mobilieren. Gerne hätte deshalb Umweltminister Jürgen Trittin, der dafür den Kopf hinhalten muss, noch vor den Transporten den Atomkonsens feierlich unterschrieben. Laut angekündigt hat er das nicht.

Erfahrung macht klug: Trittin spricht vorsichtig von einem Abschluss der Novelle des Atomgesetzes – und damit einer möglichen Unterzeichnung,„noch in diesem Jahr“.

Warum aber dauert der Vorgang nun schon ein drei viertel Jahr? Tatsächlich hatte der Konsens das Meiste schon geregelt: Begrenzung der Laufzeit der Meiler auf 32 Jahre ab Inbetriebnahme, Verbot neuer Betriebsgenehmigungen für Reaktoren aller Art, Umstellung auf dezentrale Zwischenlagerung der abgebrannten Brennstäbe und Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung.

Doch schon die Präambel des Regierungsentwurfes rief die Industrie auf den Plan. Das Umweltministerium hatte geschrieben, wie es ist: Die Atomindustrie als Risikotechnik, die seit Tschernobyl schon Tausende von Toten auf dem Gewissen hat. Das brachte die Vorstände auf die Palme: Sie seien schließlich keine Halunken – wie stünden sie da, wenn ihre Arbeit im Gesetz so beschrieben würde! Jetzt feilt Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier an einem gemäßigten Entwurf. Dabei geht es nicht nur um Befindlichkeiten von Achtundsechzigern und Konzernchefs: Die Regierung muss im Gesetz schließlich gerichtsfest begründen, warum sie die unbegrenzten Genehmigungen für die Atommeiler nachträglich befristen will. Denn die Union hat bereits Klagen gegen die Novelle angekündigt.

Schwierig ist auch die genaue Ausformulierung der Entsorgungsfrage. Hier gehe es um „subtile Details“, erklärt Klaus Traube, Energieexperte des BUND, die den Betrieb behindern oder erleichtern könnten. Schwierig war es darüber hinaus, die „schadlose Verwertung“ der bereits 5.200 Tonnen Strahlenmaterial in den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield sicherzustellen. Aus diesen abgebrannten Brennstäben werden plutoniumhaltige Recycling-Brennstäbe extrahiert: so genannte MOX-Elemente. Doch nicht jeder Meiler kann die einsetzen. Damit auch wirklich alles Plutonium verbrannt wird, mussten die Betreiber untereinander austüfteln, wer wann wie viel von den teureren MOX-Brennstäben einsetzt. Alles muss verwendet werden, so die Auflage Trittins.

Letzter Streitpunkt ist schließlich die Frage, ob zuerst die Atomnovelle verabschiedet wird, wie die Betreiber es wünschen, oder zuerst der Atomkonsens unterzeichnet wird, wie die Regierung das will. Dazu kommen Sonderwünsche des Wirtschaftsministers und die schon chronische Arbeitsüberlastung Steinmeiers.

Doch eigentlich ist es auszuschließen, dass der Konsens noch scheitert. Die Betreiber verhalten sich so, als hätten sie bereits unterzeichnet. So beantragten sie inzwischen an praktisch jedem Atommeiler Zwischenlager. Und obwohl in Neckarwestheim und Philippsburg bereits Genehmigungen für Castor-Transporte vorliegen, machen die Manager keinen Gebrauch davon – ganz im Sinne Trittins, der die Zahl der Transporte minimieren will.