: Klein-Antje und die grünen Männer
„Das Ideal und die Macht“ heißt das Buch Antje Radckes. Das verspricht viel und hält eines: JedeR weiß nun, warum sie politisch scheitern musste
Wer wissen will, warum Antje Radcke als Parteisprecherin der Grünen gescheitert ist, der muss dieses Buch lesen. Auf 230 Seiten lamentiert sie, dass die (politische) Welt nicht so ist, wie sie es sich wünscht, und nimmt die Position einer Klein-Antje ein, die ungläubig das schmutzige Geschäft der Mächtigen bestaunt.
Joschka Fischer ist dabei Radckes Feindbild schlechthin: Er habe sie von Anfang an als Parteichefin nicht ernst genommen, ja stets ihre Arbeit behindert. So erschien er fast nie zum Koalitionsausschuss der Grünen, wo wichtige Themen von MinisterInnen, Fraktions- und Parteispitze koordiniert werden sollten. Als Fischer doch einmal teilnahm, dann nur, um den „Atomausstieg“ zu verkünden, den er und Jürgen Trittin im Alleingang mit Industrie und Kanzler ausgehandelt hatten. Keine Debatte, nur der Auftrag an Radcke und ihre Co-Sprecherin Gunda Röstel: „So, und nun sorgt ihr für eine vernünftigte Kommunikationsstrategie!“
Gegen ihre Überzeugung beugte sich Antje Radcke und überzeugte die Mitglieder auf vielen Veranstaltungen vom Atomkompromiss mit „Ehrlichkeit, ohne opportunistisch zu sein“. Wie? Radcke lehnte den „Atomausstieg“ ab, missbilligte das Vorgehen des Duos Fischer/Trittin und ließ sich dennoch instrumentalisieren, um „ehrlich“ die Basis zu überzeugen? Ja, denn sie habe keine Wahl gehabt, schreibt Radcke. Die Männer beherrschten die Partei mit ihrem Politikstil: „So wird es jetzt gemacht. Basta.“ Sie wollten nicht diskutieren, vermitteln oder integrieren, sondern ihre Positionen durchsetzen. Dagegen käme keine Frau an – nicht einmal sie.
Womit wir beim Thema und beim zentralen Problem des Buches wären. Das Thema ist Macht, besonders in seiner männlichen Ausprägung, und die Benachteiligung der Frauen; das Problem ist die Autorin, die ihre Arbeit und ihr Politikverständnis zum alleinigen Maßstab erhebt: „Das Ideal und die Macht“, das verkürzt sie auf Radcke und die grünen Männer. Auf diese Weise liest sich jedoch jede Überlegung, und sei sie noch so vernünftig, wie eine Rechtfertigung für Radckes Scheitern in der großen Politik: Sie versuchte, grüne Inhalte zu vertreten und die Mitglieder an den Debatten zu beteiligen, aber die Männer dachten nur an ihre Posten und suchten Stimmvieh für ihre Entscheidungen. Sie war „kommunikativ, integrativ und partizipatorisch“, die Männer „machtgeil“. Fehler hat sie in den 18 Monaten als Parteichefin demnach nicht gemacht. Kurz: Sie wurde verkannt. Dass sie in ihrer Amtszeit keine zukunftsweisenden Konzepte oder Strategiepapiere für anstehende Reformen vorgelegt hat, erwähnt sie nicht. Aus gutem Grund: Es gibt sie offenbar nicht.
Unerträglich wird Radckes Rechtfertigungssuada, wenn sie ihr Negativimage beklagt und ernsthaft behauptet: Das sei nicht loszuwerden, „wenn, wie in meinem Fall, sich viele miteinander verschworen haben“. Allen voran grüne Parteibonzen und die Medien. Denn: Warum wollte Fischer sie ohne ihr Wissen zur Ministerin in Schleswig-Holstein wegloben, warum wurde bei der TV-Talkshow „Christiansen“ kurz vor Ende der Fischer-Vertraute Cem Özdemir neben sie gesetzt, und warum titelte der Stern über sie und Röstel gehässig: „Das doppelte Floppchen“? Diese konzertierte Aktion sollte ihr schaden und sie letztlich aus dem Amt „mobben“, meint Radcke. Nur: Das einzige, was ihr wirklich schadet, ist diese alberne Verschwörungstheorie.
Mit solch abstrusen Attacken entwertet sie leider auch ihre Überlegungen im Schlusskapitel – zur immer noch wichtigen Frauenquote, zur Trennung von Amt und Mandat und zur Notwendigkeit, die Basis besser zu informieren. Hier beweist Radcke, dass sie wach die (Fehl-) Entwicklungen ihrer Partei beobachtet und nicht in Fundamentalkritik verharrt: Dass die Kollektivführung von einst ebenso abgeschafft wurde wie die Rotation, erscheint ihr sinnvoll. Dass manche Verhandlung erst einmal geheim geführt werden muss und weder Medien noch Basis gleich alles erfahren dürfen, akzeptiert sie. Aber das funktioniere nur, wenn die Partei ihren Oberen vertraue – und dieses Vertrauen erreiche nur, wer die Zwänge (eines kleineren Koalitionspartners etwa) offen lege.
Diese Anregungen aus dem letzten Teil lesen sich, als ob sie völlig unabhängig vom Rest des Buches entstanden wären. Zahlreiche Aspekte, die bereits zuvor angesprochen wurden, tauchen hier wieder auf – nur präziser durchdacht und formuliert. Hätte Antje Radcke diesen Essay allein veröffentlicht, mancher würde die ehemalige Parteichefin jetzt ernster nehmen.
Doch die Politikerin wollte, und vor allem im Nachhinein, ihre Amtszeit glorifizieren – und merkt nicht, dass sie dabei ihren zentralen Fehler offenbart: Sie hat sich ihrer Führungsaufgabe verweigert. Statt vehement die Interessen der Partei gegenüber Fraktion und Regierung zu vertreten, hat sie bei zentralen Diskussionen (von ihr gern als Kungelrunden abqualifiziert) gefehlt und lieber Kreisverbände besucht. Statt Strategien zu entwickeln, um grüne Themen zu setzen, hat sie nur brav Entscheidungen von Fraktion und Regierung „kommuniziert“. An keiner Stelle ihres Buches wird deutlich, für welche Inhalte sie programmatisch steht – warum sie als politische Autorität von den Grünen akzeptiert werden sollte. Als Parteichefin war Antje Radcke offensichtlich überfordert. Sie sollte ihr eigenes Buch einmal lesen, dann würde sie es auch merken.
DANIEL HAUFLER
Antje Radcke: „Das Ideal und die Macht. Das Dilemma der Grünen“. Henschel Verlag, Berlin 2001, 272 Seiten, 39,90 DM
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