piwik no script img

Sieben Dörfer: das Reich der UÇK

Die Familien in Shipkovica, einem Dorf im „befreiten Gebiet“, leben hauptsächlich von den Überweisungen der Gastarbeiter, die in Deutschland leben

aus Tetovo ERICH RATHFELDER

Der Mann, der die Unruhen in Makedonien angeblich ausgelöst hat, heißt Nevsad Osmani. Der 72-Jährige ist bettlägerig. Er ist weder ein Kämpfer der UÇK noch sonst ein politischer Mensch. Aber heute gilt er als Held. Zumindest hier in Shipkovica, einem Dorf in dem „befreiten Gebiet“, das zurzeit von der Nationalen Befreiungsarmee (UÇK) beherrscht wird und in den Augen der makedonischen Behörden die Brutstätte des Terrorismus ist.

Noch muss Nevsad Osmani sich von den Schlägen erholen, die ihm, wie er sagt, die makedonische Miliz zugefügt hat. Damals, vor vier Wochen, kurz vor dem Bajram-Fest, dem wichtigsten Feiertag der Muslime, wollte der Gläubige schon vor Sonnenaufgang in die Moschee. Aber draußen auf der Straße hätten ihm maskierte Polizisten aufgelauert, ihn geschlagen und ihn die 300 Meter hinunter zur Moschee geschleift. Auch zwei weitere Bewohner sollen malträtiert worden sein.

„Arbeit haben wir hier nix“

Das ganze Dorf war aufgebracht. Über 70 Polizisten seien gekommen, um den UÇK-Kämpfer Xhemal Basheri zu verhaften. Doch Nevsad Osmani und die anderen beiden Dorfbewohner sagten oder wussten nichts. Und so hätten die Polizisten von ihm abgelassen und seien unverrichteter Dinge davongefahren.

Das Ereignis schockierte die Dorfbewohner. Der Unmut wuchs. Und als die UÇK-Kämpfer vor einer Woche vom Nachbardorf Selce aus ihren Kampf gegen die makedonischen Streitkräfte begannen, konnten sie der Solidarität der Leute in Shipkovica gewiss sein. Die „Polizei“, so sagt Jakupi, ein in der Schweiz arbeitender 40-jähriger Mann, „hat hier nichts mehr zu suchen.“ Das, was Nevsad Osmani zustieß, sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Wir lassen uns die ständige Unterdrückung nicht mehr gefallen“, sagt auch Vilier, der in Berlin arbeitet.

Viele Männer sind in den letzten Tagen aus dem Ausland zurückgekehrt in das Dorf, das sie vor vielen Jahren verlassen hatten. Zwar sind viele der Häuser neu gebaut oder renoviert, sogar die Straße ist gepflastert, „aber Arbeit haben wir hier nix“, sagt Vilier. Die Höfe sind klein, ein wenig Landwirtschaft gibt es, etwas Schafzucht. Die Familien leben von den Überweisungen der Gastarbeiter, die vornehmlich in Deutschland und der Schweiz arbeiten. „Die Makedonier besetzen alle Positionen im Staat, hier gibt es keine Fabriken oder sonst was, wir alle müssen ins Ausland gehen“, erklärt ein alter Mann, dem man mit seinem zerfurchten Gesicht, dem Albanerhut und den weiten Hosen nicht ansieht, dass er 35 Jahre lang in Köln gelebt hat. Als Rentner ist er in sein Dorf zurückgekehrt.

Das Dorf Shipkovica zieht sich einen Hang entlang, der im Norden in einen über 2.500 Meter hohen Gebirgszug mündet. Dort ist die Grenze zum Kosovo, dort gibt es einen Pfad zu dem Pass, über den der Nachschub für die UÇK-Rebellen „rollen“ soll. Doch schon der erste Blick zeigt, dass hier bestenfalls Mulis ihren Weg finden können.

Alkohol ist streng verboten

Über der tiefen Schlucht des Flusses Shkumbimi ist das Dorf Selce zu erkennen. Im Süden taucht schemenhaft ein Teil der Stadt Tetovo auf. Deutlich ist weit unterhalb des Dorfs der Berg Kale zu erkennen, der seit Tagen von der Artillerie der Makedonier beschossen wird.

Das Reich der UÇK, das „befreite Gebiet“, das seit einer Woche die Welt in Atem hält, umschließt lediglich dieses Tal, sieben Dörfer insgesamt. Und auf den Straßen ist bisher kein UÇK-Kämpfer zu bemerken. Der Pfad nach Selce führt steil den Berg hinab. An einer Kehre tauchen plötzlich Reiter auf: zwei lachende Mädchen in schwarzen Uniformen und ein zunächst finster dreinblickender junger Mann. Mit seinem UÇK-Käppi und der Kalaschnikow auf dem Rücken wirkt er bedrohlich, aber durchaus freundlich reicht er den Fremden die Hand und passiert.

Es ist dunkel geworden. Der Pfad schlängelt sich durch dichten Wald. Endlich ist die Brücke zum Fluss erreicht. Drei Gestalten gebieten Halt: ein Posten der UÇK. Nach kurzem Palaver wird der Weg ins Dorf Selce freigegeben.

In Selce gibt es keinen Strom. Nur schemenhaft sind die Soldaten zu erkennen, die hier an jeder Ecke zu stehen scheinen. Dunkel ist auch der Raum des Kaffeehauses, das voller Menschen ist. Der Rauch hat die Wände geschwärzt, die flackernden Kerzen schaffen eine eigentümliche Atmosphäre. Männer mit Albanerhüten, andere in Uniform, sitzen hier, die Waffen an den Tisch gelehnt, und trinken Tee. Alkohol ist streng verboten. Aber es wird heiß diskutiert. Und die Gespräche mit dem Fremden kreisen um die Frage, wie die Welt da draußen auf ihren Aufstand reagiert.

„Infanterie kommt hier nicht rauf“

Zu essen wird nichts angeboten. Auch nicht in dem Haus des wortkargen Gastgebers, dem bedeutet wurde, nicht zu viel mit dem Journalisten und den albanischen Begleitern zu reden. Lebensmittel sind knapp geworden in dem Gebiet, das von Tetovo abgeschnitten ist. Die Frauen und Kinder des Hausherrn lassen sich nur kurz blicken.

Am Morgen sind die Bewaffneten von den Straßen verschwunden. Lediglich vor dem Hauptquartier stehen einige Wachen. Die Artillerie der Makedonier in Tetovo dröhnt, das ist die am Vortag angedrohte Offensive. Die UÇK-Soldaten winken ab: „Lass sie doch schießen, hierher, auf den Berg, da kommen sie mit Infanterie und Panzern niemals herauf.“ Auf dem Rückweg mitten im Wald, nach der Unterredung mit dem UÇK-Kommandanten Sadri Ahmati (siehe Interview), pfeifen plötzlich Granaten. Eine schlägt in Selce ein. Die makedonischen Streitkräfte verfügen inzwischen offenbar über Artillerie größeren Kalibers als bislang. Im Dorf Shipkovica weiß man nicht, ob es Verletzte und Tote gegeben hat. Seit es keinen Strom mehr gibt, können auch die Mobiltelefone nicht mehr aufgeladen werden. Später, auf dem Rückweg nach Tetovo, sind Granateinschläge zu hören. Sie kommen aus der Richtung von Shipkovica.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen