piwik no script img

Erleichterung in Holtum

■ Der Verdacht auf Maul- und Klauen-Seuche lähmte das Dorf Holtum bei Verden, bis Entwarnung aus dem Testlabor kam

Bleiern lastet der Himmel auf dem niedersächsischen Flachland. Regungslos liegen die aufgeweichten Weiden da. Keiner der angeblich 300 Einwohner von Holtum-Marsch lässt sich blicken. Sie tun gut daran bei dem unbarmherzigen Dauerregen. Der kalte Wind geht durch bis auf die Knochen. Keinen Hund würde man bei dem Wetter vor die Tür jagen. Und tatsächlich: Nicht einmal Hunde sind zu sehen.

Es ist, als könne man die Seuche sehen: „Maul- und Klauenseuche-Sperrbezirk“ – den Plastikschilder, die das Sperrgebiet drei Kilometer um den betroffenen Hof kennzeichnen, wurde nur ein Klebestreifen mit dem Zusatz „Verdacht“ hinzugefügt – Alle klammern sich hier an die bange Hoffnung, dass aus dem Tübinger Labor Entwarnung kommt. Neun Ferkel aus den Niederlanden wiesen typische Symptome der Seuche auf, zwei sind schon tot. Vielleicht eine andere Krankheit. Aber wehe, wenn nicht.

Hier stehen die schönen, alten Backsteingebäude so dicht, dass kaum zu erkennen ist, zu welchem Hof sie gehören. Nur das rot-weiße Plastikband markiert genau den Krankheitsherd. Der Bauer kann seinen Hof nicht mehr verlassen, geschweige denn Besuch empfangen: Wer auf seine Straßenseite kommt, wird von einer Polizeistreife rüde zurückgepfiffen. Nachbar Gerhard Winter hatte sich seinen Reim bereits gemacht, bevor er im Radio vom MKS-Verdacht hörte. „Da stand stundenlang ein ortsfremder PKW vor dem Hof. Da haben wir uns schon was gedacht.“ Er selbst hat kein Klauenvieh mehr, hat seinen Schweinestall verpachtet. Davor steht jetzt eine Schüssel mit Desinfektionslösung, wie man es aus dem Fersehen aus England kennt. Aber Winter weiß, dass das kein Schutz ist, wenn sich der MKS-Verdacht bestätigen sollte. Allerdings glaubt er eher an einen Ausbruch der Schweinegrippe auf dem Nachbarhof: „MKS müsste schon viel weiter fortgeschritten sein.“ Dennoch, so erzählt er, sei das Leben in der Gemeinde stark beeinträchtigt. So wurd die Sitzung des Wasser- und Bodenverbands abgesagt, obwohl „wichtige Entscheidungen anstehen“.

Andere Probleme hat Herbert Diekmann, der Nachbar auf der anderen Seite: Er ist Pferdezüchter und kann nicht verstehen, warum seine Tiere im Stall bleiben müssen. „Vögel fliegen ja auch frei herum.“ Seine Pferde hat er erstmal zu keinem Rennen gemeldet. „Die brauchen Bewegung, sonst hat das keinen Sinn.“ Mit seinen Nachbarn fühlt er mit: „Die können jetzt nicht mal einkaufen.“ Nur für einen hat die Situation ihr Gutes: Ein Polizist, der an der Landstraße wacht, dass keine Tiertransporte in den Sperrbezirk kommen, friert zwar im Auto. Aber beim Kaffeeholen gesteht er der Kellnerin, dass es doch besser „zu Hause“ ist – er wurde eigens aus dem Wendland zurückgerufen.

Schließlich kommt um 15 Uhr 51 die erlösende Nachricht aus Tübingen: Das vorläufige Testergebnis ist negativ, MKS fast ausgeschlossen. Die Polizisten müssen aber nicht mehr zum Castor-Einsatz: Bis zum endgültigen Ergebnis bleibt der Sperrbezirk noch ein paar Tage bestehen.

Jan Kahlcke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen