: Der mit dem Hund
Wieso Haußmann am Thalia Molière inszeniert ■ Von Petra Schellen
Endlich ist er da. Hat erstmal vom Nachbartisch rübergewinkt, dann seinen schwarzen Hund vorgeschickt und ist schließlich höchstselbst an den Interview-Tisch gekommen. Erschöpft sei er von der Probe, erstmal was essen müsse er, sagt er – um sich dann zum Stintsalat überreden zu lassen: Leander Haußmann, der derzeit am Thalia Theater Molières Eingebildeten Kranken inszeniert, lässt sich Zeit mit den Dingen, lässt Gespräche und Themen erstmal auf sich zukommen und legt sich nicht gern fest.
Auch nicht bezüglich der Motivation seiner Inszenierung, bietet er auf Fragen doch verschiedenste Varianten an, ohne zu zeigen, welche ihm am wichtigsten ist: Seit einigen Wochen probt der in Quedlinburg geborene Haußmann, Regisseur des Films Sonnenallee und Ex-Intendant des Bochumer Schauspielhauses, Molières letztes Stück. Der Eingebildete Kranke, uraufgeführt 1673, sei Molières reifstes Werk, erklärt das enfant terrible der Film- und Theaterszene. Vor allem umkreise es „unser aller Angst vor dem Tod. Und das Hypochondertum, auch eine Eigenschaft, die die Figuren mit etlichen Zeitgenossen teilen“.
Auch mit ihm selbst, ja, natürlich: „Als ich klein war, hat meine Schwester mir oft eingeredet, ich hätte eine Spinne auf dem Rücken. Das konnte mich wahnsinnig machen. Inzwischen habe ich begriffen, dass es ja auch kribbeln muss dazu...“, erklärt der Regisseur, der das Molière-Projekt als „persönliche Herausforderung“ betrachtet. Und obwohl sich der Text „trocken liest“, habe er „überrascht festgestellt, dass die Worte im Mund der Schauspieler anfangen zu leben. Dass dann sofort andere Schwierigkeiten auftauchen würden...“ Es ist das wie bestellt klingelnde Handy, dem er die aktuellen Probleme anvertraut.
„Im Stück kreisen die Figuren lange um den Kranken Argan, der begriffen hat, dass er Macht über seine Mitmenschen ausüben kann“, sagt er dann. „Wir blenden uns an genau dem Tag in die Szenerie ein, an dem die Figuren begreifen, dass Argans Krankheitswahn sie schädigt, und dass sie sich endgültig von ihm befreien wollen.“
Einen Hofstaat habe sich Argan geschaffen, der auch den Zustand der Demokratie versinnbildliche, in der die Untergebenen von Herrscherlaunen abhängig seien. „Früher waren alle von den Launen Kohls abhängig, jetzt sind sie es von Schröder...“ , und auf den Einwand, dass Umfragenfetischist Schröder doch genauso abhängig sei, reagiert Haußmann nur vage.
Überhaupt gehe es in dem Stück eigentlich um etwas ganz anderes: um den Beginn des Disputs zwischen traditioneller und alternativer Medizin. „Einerseits machen die Ärzte Argan von Medikamenten abhängig, andererseits rät ihm sein Bruder, provokativ Obst essend, die Natur machen zu lassen.“ Dass der Obstesser Unrecht behält, steht für Haußmann fest: „Wenn man bedenkt, wie weit die medizinische Technik heute ist...“
Tja, und dann finde sich im Stück noch eine ungeheure Provokation: dass Vater Argan die Liebe seiner Tochter teste, indem er sich totstelle. „Damals war dieses Szene notwendig, um Argan moralisch zu definieren. Heute, wo wir alles psychologisch angehen, ist diese Szene natürlich eine große Provokation – und dann kann man sich als Regisseur eben überlegen, ob man die Tochter diesen Stress überleben lassen will oder nicht...“
Ob das aber nun das Wichtigste am Stück ist? Und ob all dies den wahren Grund für die Inszenierung offenbart? Haußmann hat auf seinem T-Shirt ein Thalia-Emblem mit dem Wort „Anfänger“ kleben. Und sagt zum Schluss, man solle nicht wegsehen bei rechter Gewalt. Wenige Sätze zuvor hatte er noch betont, er sei „stockkonservativ, bis auf die Knochen“ – er, der das Bochumer Theater se durch 70er-Jahre-Soundtracks bereichert und den älteren Zuschauern „keine Träne nachgeweint“ hatte.
Merkwürdiger Kontext, merkwürdige Präsentation das alles. Postmodern beliebig die Thesenkonstellation, stark durchsetzt mit Handy-Passagen. Da bleibt einem das Ernstnehmen schon ein Stück weit im Halse stecken.
Premiere heute, 20 Uhr, Thalia
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