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Türken ohne Job-Chance

Die Arbeitslosigkeit in der türkischen Community liegt bei 40 Prozent. Davon haben 90 Prozent keine Ausbildung. Landesarbeitsamt und Schulsenator sehen fehlende Sprachkenntnisse als Hauptproblem

von JULIA HARBECK

Die Berufschancen der Türken in Berlin haben sich dramatisch verschlechtert. Die türkische Community als größte nichtdeutsche Minderheit der Stadt ist von der höchsten Arbeitslosenquote betroffen: Ende Februar lag sie bei etwa 40 Prozent. Die Quote aller Arbeitslosen ohne deutschen Pass liegt dagegen etwas niedriger: bei 35 Prozent.

Der Türkische Bund (TBB), die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, und der Präsident des Landesarbeitsamtes, Klaus Clausnitzer, klagten gestern übereinstimmend: Es ist zu wenig getan worden. Wer für die Misere verantwortlich ist – darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.

Um den „dramatischen sozialen Abstieg“ einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu stoppen, forderte John eine Bildungs- und Beschäftigungsoffensive von Politik und Unternehmern. Seit Jahren habe man in den jährlichen Ausländerberichten den Rückgang bei Ausbildungsverhältnissen und die Stagnation bei der Qualität der Schulabschlüsse ablesen können. John appellierte aber auch an die Community: „Wir brauchen die Mobilisierung innerhalb der türkischen Gemeinschaft.“ Auch Clausnitzer sieht die Verantwortung vor allem bei den Familien. Ohne Verständigung in Deutsch sei eine Teilnahme am Berufsleben kaum möglich.

Das bekommen vor allem ungelernte ausländische Arbeitskräfte zu spüren. Der Strukturwandel der letzten zehn Jahre und das Wegfallen von Arbeitsplätzen in der Industrie trifft sie besonders hart. 90 Prozent der arbeitslosen Türken haben keine Ausbildung. Bei allen Arbeitslosen liegt diese Quote nur bei 44 Prozent. Viele Türken ohne Ausbildung arbeiten zudem in krisenanfälligen Branchen, auf dem Bau oder als Reinigungskräfte. Ein türkischer Bauarbeiter ohne Deutschkenntnisse ist kaum auf eine Stelle mit höherem Niveau vermittelbar. Die Bundesanstalt für Arbeit ist hier als Förderer weggefallen. Das Arbeitsförderungsgesetz sieht Deutschkurse nur noch für Spätaussiedler vor.

Dem Schulsenator ist das Problem seit langem bekannt. Anfang des Jahres richtete Klaus Böger (SPD) zusammen mit dem TBB und dem Elternverein einen dringenden Appell an türkische Eltern, die Angebote zur Sprachförderung ihrer Kinder zu nutzen. Notwendig sei eine Förderung schon in der Kita, so Bögers Sprecher Thomas John. Rund 90 Prozent der ausländischen Kinder waren schon vor der Schule in Kita-Einrichtungen oder Vorschulen. Längerfristige politische Zielsetzung sei deshalb eine „Qualifizierung der Kitas“.

Geplant ist unter anderem, die Ausbildung des Erzieherpersonals zu verbessern. Schulen in sozialen Brennpunkten erhalten jetzt schon eine besondere Förderung. Rund 740 Lehrerstellen gibt es bereits für den Deutschförderunterricht. Sie werden gezielt in Stadtgebieten mit hohem Ausländeranteil eingesetzt.

Fast 70 Prozent der türkischen Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss oder nur mit Hauptschulabschluss. Sprachkenntnisse allein reichen da nicht. Schlechte Noten und fehlendes Engagement bei der Ausbildungssuche sei ein großes Problem, sagt der Sozialarbeiter Veysel Caliören. Viele Jugendliche würden zu schnell aufgeben. „Man muss aber hartnäckig sein und dranbleiben“, so Caliören.

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