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Fernes Echo aus dem Busch der Geister

Peter Gabriels fleißigster Schüler: Der Exil-Ugander Geoffrey Oryema knüpft mit seinem Afro-Pop an die ethnisch infizierten Wave-Klänge der 80er an. Auch bei seinem Konzert in Berlin, zum Abschluss seiner Tournee, unterwanderte er damit die „Authentizitäts“-Erwartungen des Weltmusik-Publikums

von DANIEL BAX

„Das war ja nicht sehr authentisch“, mäkelte ein in seinen Erwartungen enttäuschter Besucher vom Typ Alt-Alternativer nach dem Konzert. Das allerdings wurde dem Auftritt von Geoffrey Oryema nur wenig gerecht – eher schon war es ein Beleg für den Umstand, dass das kreative Schaffen von Migranten gerne nach anderen Maßstäben bewertet wird als jenes ihrer eingeborenen Künstlerkollegen. Denn wenig authentisch war die Vorstellung von Geoffrey Oryema nur, unterstellt man, dass dieser neben seiner „Kultur“ nicht auch noch über eine individuelle Persönlichkeit verfügt, der er mit seiner Musik Ausdruck zu verleihen versucht.

Oryema lebt seit fast 25 Jahren in Paris, wohin er 1977 als junger Mann aus Uganda flüchtete, nachdem sein Vater, der Minister war im Kabinett von Idi Amin, von dessen Schergen ermordet worden war. Das erzwungene Exil war lange ein vorherrschendes Thema in den Liedern des ugandischen Sängers, der vor elf Jahren bei der Plattenfirma „Real World“, der Weltmusik-Plattform des englischen Popstars Peter Gabriel, Unterschlupf fand. Drei Alben veröffentlichte Geoffrey Oryema dort, deren melancholische Grundstimmung geprägt war von einer enorm ausdruckskräftigen Stimme, die in getragenem Ambient-Pop ruhte, und von Texten, die, in Englisch wie im ugandischen Idiom Atcholi, meist um Entwurzelung und das Geworfensein in eine unfreundliche Welt kreisten.

Von der Traurigkeit, die wie ein ständiger Begleiter durch ihn zu sprechen schien, muss sich Geoffrey Oryema inzwischen befreit haben, jedenfalls klang seine letzte Platte „Spirits“, die im vergangenen Jahr unter neuer Adresse bei einem französischen Label erschienen ist, auffällig anders als von ihm gewohnt, unerwartet zupackend und aufgeräumt. An Stelle der Schwere, die seine Stücke, überwiegend Balladen, bis dahin ausgezeichnet hatte, ist nun ein druckvoller Sound getreten, der seine Einflüsse aus dem vormals avantgardistischen Wave-Pop der Achtzigerjahre nicht ganz verleugnen kann: Police scheinen Pate gestanden zu haben bei „Spirits“, das mit rockigem Elan aufwartete und Melodien, die gerne mit dem Attribut „hypnotisch“ belegt werden – auch ein Verdienst des Produzenten Rupert Hine, der Geoffrey Oryema zur Seite stand.

In seinem Spiel mit den Mitteln der Elektronik zeigte sich Oryema als gelehrigster Schüler seines Mentors Peter Gabriel, und mit dem Talking Heads-Song „Listening Wind“ versteckte sich auf dem Album „Spirit“ auch eine Fährte zu einem anderen Vorbild: „My Life in the bush of ghosts“ hieß eine wegweisende Platte, mit der Brian Eno und David Byrne vor zwanzig Jahren traditionellen Klängen einen Pfad in die Computer-Moderne bahnten und an die Geoffrey Oryemas flirrender Ethno-Pop noch heute erinnert.

So etwas gefällt auch dem aufgeschlossenen Pop-Konsumenten in Frankreich, wo Oryema mit dem Song „Mara“ einen Charts-Hit verbuchen konnte, und gerade auch jenen Musikjournalisten, die nicht selten über den Ethno-Pop der 80er einst den Weg zur Weltmusik fanden und „Spirit“ im Sommer des vergangenen Jahres einmütig an die Spitze der allmonatlich von einer Fachjury gekürten Weltmusik-Radiocharts wählten.

Das Leben im Busch der Geister ist auch bei Oryema allerdings nur noch ein Echo in der Maschine, einzig verstärkt durch das glockenartige, assoziative Klimpern des Daumenklaviers, über das er mit seinen Fingern wirbelte. Dagegen kamen bei seinem Konzert in Berlin sogar – Sakrileg! – die Percussion-Parts und die Congas vom Keyboard, auch hier keine Konzession an die Naturalismusbedürfnisse einer westlichen Hörerschaft.

Trotz kleiner Band erwies sich Oryema aber als vollwertiger Bühnenfüller: Ganz in Weiß gewandet wie ein Zeremonienmeister des brasilianischen Candomblé, turnte er von links nach rechts über das Parkett, und einmal auch quer durch den Saal – hätte er auf der Bühne ein Rad geschlagen, hätte sich auch niemand gewundert.

Die Distanz zum Publikum überspielte er, indem er mit großen Luftballons Bewegung in den bestuhlten Saal brachte, und zum Nachahmen jener prägnanten Klick-Laute animierte, die er vorformte. Das hatte, wie oft bei Weltmusik-Konzerten, etwas latent Pädagogisches. Doch sein Berliner Publikum erwies sich hierbei als komplett lernresistent: „Null Punkte“ musste Oryema am Ende für deren vergebliche Versuche vergeben.

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