piwik no script img

das internet ist unsere zukunft!Fiete Stegers beta-testet die Online-Education

So sexy wie die Verfahrenstechnik

„www.internet-macht-sexy.de“. Das ist jetzt schon der Plakatspruch des Jahres. Berliner Studierende haben den bundesweit verbreiteten Slogan entworfen. Mit „sexy“ meinen sie natürlich „reich“, klar, 21st century logic. Schließlich sind – auch wenn die CeBit anderes verspricht – ruckelnde Pornobildchen und Trainingsrezepte zur Penisverlängerung derzeit das Einzige, mit dem sich im Internet verlässlich Geld verdienen lässt.

Schlaue Studis, dachte ich, keine Schlafmützen mit Pali-Tüchern, und klickte mich brav auf ihre Website. Damit sie Kohle in die Kasse kriegten und ich ein paar fiese Nackigbilder, um sie an unbeliebte Bekannte weiterzumailen. Aber nix: Unter www.internet-macht-sexy.de erfahre ich bloß, nach welch umständlichen Prozeduren ich mich in einen Diplomstudiengang „Electronic Business“ einschreiben darf, den es seit dem Wintersemester gibt. Die Studenten werben um neue Kommilitonen.

Halt! Da kann doch irgendwas nicht stimmen. Warum der Plakat-Aufwand, wenn Internet doch ohnehin sexy macht? Weil die Start-up-Stars in spe nicht nur lernen, wie man Geldgebern Kapital aus der Tasche labert – obwohl man nicht mehr vorzuweisen hat als einen zweiseitigen Businessplan? Weil der Studiengang an der Berliner Hochschule der Künste angeboten wird – und also eine Bewerbungsmappe Pflicht ist, nur halt in elektronisch?

Tatsächlich: Die Website droht, künftige Kommilitonen müssten sich „mit komplexen gestalterischen und wissenschaftlichen Fragestellungen in einer sich ständig wandelnden Realität“ auseinander setzen. Das erklärt einiges. So hört sich das Gegenteil von sexy an. Eher existentialisty. Und was ist der Lohn nach fünf Semester Komplexitätsbewältigung? „Diplomdesigner Electronic Business“. Da spricht kein bisschen E-rotik raus. Diplom, das macht so an wie Verfahrenstechnik.

Da stellt sich die Uni Köln geschickter an. Sie lockt mit dem imposanten Titel „Global Master Of E-Commerce“. Passende Visitenkarten gibt's wahrscheinlich bei der Einschreibung gleich dazu. Damit sind die Absolventen garantiert die Stars bei jeder Business-Party. Für manche Möchtegern-New-Economisten ist ein „Global Master“ die Erfüllung eines Jugendtraums. Da sammelten sie vermutlich die hässlichen „Masters of the Universe“-Figuren, die muskelbepackten Weltraumhelden aus den Spielzeugläden der 80er. Das Vorbild für die Möchtegern-Durchstarter der Internetszene ist praktisch gleich geblieben: Ohne Muckis, aber auf jeden Fall mit Master.

Viel mehr als Fantasien wach küssen kann der kölsche Global-Master kaum: Den Weltmeister im Elektrohandel haben die Studis schon nach 15 Monaten im Sack. Ein regulärer Einzelhandelskaufmann geht da länger in die Lehre. So weit kann es dann ja nicht mit der Qualifikation her sein: Am Ende ist der „Global Master“ ein besserer Titel für E-Schergen, die statt Bierkisten im Supermarkt zu stapeln im Lager von Amazon Büchersendungen einpacken. Oder E-Mail-Bestellungen entgegennehmen. Global hin, sexy her. Der graue Kittel bleibt der gleiche. FIETE STEGERS

FIETE STEGERS, 25, browst mit Netscape durch sein Publizistikstudium. Und sucht an dieser Stelle, ob nicht schon eine fehlerfreie Beta-Version virtueller Studis auffindbar ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen