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Spaßneid unlimited

Als der Ballettdirektor den Professor und seine rasant feiernden Studenten traf, kam ihm eine Idee. Seitdem findet im Frankfurter Bockenheimer Depot regelmäßig der Schmalclub statt, der Kunst und Party aufs Überrschendste verbindet

Am Anfang herrschte noch Beunruhigung: Könnte es passieren, dass man durch eine ungünstige Tischkombination den ganzen Abend nur von einem warmen Aperitif zum nächsten gelangt? Überhaupt: Futterneid. Obschon hier niemand wirklich ausgemergelt wirkte. Und, nachdem der Hunger etwas gestillt war: Spaßneid. Amüsiert sich Tisch 8 nicht ganz prächtig, während hier ... ?

Beim 9. Schmalclub im ehemaligen Straßenbahndepot des Frankfurter Theater am Turm (TAT) geht es nur in zweiter Linie um „Essen“, wie das Thema heißt. Vor allem ist man, da per Zufallsprinzip an die Tische verteilt, mit dem Kennenlernen neuer Leute beschäftigt, denn jeweils nach einer halben Stunde wird rotiert und neu gemischt: Hockt man zunächst noch nicht recht warmgeplaudert am Schneewittchen-Tisch, wo von kleinen Löffelchen gespeist wird, gibt’s den nächsten Gang am Zweiertisch auf der Empore überm Eingang oder im Flughafenwartesaal-Ambiente mit großen Kunstpflanzen im Rücken, wo Zwiegespräche nur mit baldiger Nackenstarre möglich sind. Die Rede geht gar von einem „Grubenessen“ mit Taschenlampen in den Kellern des TAT, während helleren Orts fesche Palmwedler liegende Gäste freundlich belüften.

Unterschiedliche Raumkonzepte sind das wesentliche Interesse des Schmalclubs, die Irritation der Gäste durch die Verbindung von Installation und Lebenswelt, von Kunst und Party. Denn schließlich ist dieser Kombination – so will es die Legende – die Entstehung der Veranstaltungsreihe überhaupt zu verdanken: Nach einem Besichtigungstag an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach mit anschließender gut inszenierter Feier war der Frankfurter Ballettchef William Forsythe von dieser studentischen Doppelbegabung so begeistert, dass er Heiner Blum, Professor für „experimentelle Räume“, und dessen Studenten das TAT alle ein bis zwei Monate für Events zur Verfügung stellte. Hier sollten die HfGler den schmalen Grat zwischen Kunst und Feiern quasi institutionalisieren, organisatorisch bis heute an einen Hochschul-Kurs Blums gebunden. Mit Schein und Anwesenheitspflicht.

Was vor gut einem Jahr mit einer mäßigen Performance zu einer mäßigen Party begann, entwickelte sich zu einer Reihe mit ganz eigenem Stil, der nicht zuletzt davon lebt, dass er chamäleonartig wandelbar ist – und, wenn alles gut läuft, voller Überraschungen. Denn eines wollen die Studierenden auf keinen Fall sein: reine Party-Produzenten.

Das bislang beste Beispiel dafür, wozu der Schmalclub in der Lage ist, war die „Super-VHS“ im vergangenen Oktober. Das Gewusel um allerlei oft grob improvisierte und zusammengeschusterte Stände mit Lernangeboten von Schwarzfahren über Scratchen bis zur Organisation der Abseitsfalle nutzte das Können unterschiedlicher „Experten“ und lebte von der Spontaneität sowie Begeisterungsfähigkeit der Macher und Gäste.

Nicht nur für den Ballettdramaturgen Steve Valk, der das Projekt vonseiten des Hauses aus betreut, macht das Prinzip „low tech, low budget“ den Reiz der Veranstaltungen aus. Bevormundungsdramaturgie oder bedeutungsschwere Unterfütterungen à la Gob Squads „Say it like you mean it“ fehlen. Nur wer selbst aktiv wird, hat am Ende des „Essen“-Schmalclubs mit seinenHalbstundenhäppchen einiges gelernt von den Nachbarn, die man sonst wohl nicht getroffen hätte. Und trifft manche wenig später in der „Frankfurter Schule“ an der Bar wieder. Da kennt man sich dann ja schon.

FLORIAN MALZACHER

Der nächste Schmalclub „Tired and Tensed“ zum Thema Schlafen findet vom 31. März, 24 Uhr, bis zum 1. April, 10 Uhr, statt. Infos unter www.hfg-offenbach.de oder www.dastat.de

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