: Wasser fließt anders als Strom
von ANNETTE JENSEN
„Monopol – lebe wohl!“ hieß es in den vergangenen Jahren gleich für mehrere netzgebundene Branchen. Nach dem Strom-, Telefon- und Gasmarkt steht möglicherweise bald auch beim Wasser der Konkurrenzkampf an. Gestern wurde im Wirtschaftsministerium dazu ein Gutachten vorgestellt. Die zentralen Argumente für eine Marktöffnung: Die kommunalen Wasserversorgungsunternehmen haben bisher keinen Anreiz, effizient zu wirtschaften, weil sie „ihre Kosten weitgehend auf die Verbraucher abwälzen“.
Und tatsächlich: Nirgendwo sonst in Europa ist ein Kubikmeter so teuer wie hier zu Lande. Außerdem spielen deutsche Unternehmen auf dem immer weiter wachsenden Weltmarkt für Wasserwirtschaft bisher keine Rolle – das heißt, hier wird die Möglichkeit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verpasst.
„Zwischen Marktöffnung, Umwelt- und Gesundheitsschutz besteht kein Gegensatz“, verkündete gestern der Hans-Jürgen Ewers, Leiter der TU Berlin und Hauptautor der Expertise, sein Credo. Genau das aber fürchtet eine Allianz aus Umweltschützern, Gewerkschaftern, Wasserversorgern und Kommunalpolitikern. Bisher ist Deutschland in punkto Trinkwasserqualität anerkanntermaßen Spitze. Das Wasser wird zudem überwiegend regional gefördert und ist kein Privatbesitz. Hinzu kommt aber auch, dass viele der monopolistisch agierenden Wasserunternehmen ihre Pfründe verteidigen wollen. Denn klar ist: Im Wettbewerb hätten ihre verkrusteten Strukturen keine Chance. Die Kabinettskollegen von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) beurteilen den Vorstoß denn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen skeptisch. Mit einer Entscheidung über eine Marktöffnung noch in dieser Legislaturperiopde rechnet niemand.
Eine Liberalisierung des Wassermarkts könnte sehr unterschiedlich aussehen. Wohl auszuschließen ist, dass sich der normale Kunde irgendwann wie bei Strom und Telefon den preiswertesten Wasserlieferanten in der Republik aussuchen kann. Zum einen gibt es beim Wasser kein Verbundnetz, das eine Durchleitung von Freiburg nach Rügen oder von Bielefeld nach Stuttgart ermöglicht.
Zum zweiten lässt sich Wasser aus unterschiedlichen Fördergebieten nicht einfach miteinander mischen, ohne dass es zu Ausfällungen kommt. Nur unter der Voraussetzung, dass jeder Mieter eines Hauses seine eigene Wasserzuleitung hat, könnten deshalb unterschiedliche Lieferanten beauftragt werden – eine rein theoretische Annahme. Denn beim Wasser stellt die Vorhaltung der Rohre den wesentlich größeren Kostenfaktor dar als das gelieferte Gut, während es beim Strom genau umgekehrt ist.
So würden von einer Änderung des Kartellrechts unmittelbar zunächst nur zwei Gruppen profitieren: Großabnehmer, zu denen sich der Bau einer separaten Leitung lohnt, und Kunden, die am Rand eines Versorgungsgebiets wohnen; sie könnten den Wasserlieferanten jenseits der heutigen Demarkationslinie wählen. Doch nach Schätzung der Wasserwirtschaft trifft eine solche Situation allenfalls auf 10 Prozent der Abnehmer zu.
Die kommunalen Versorger und Umweltschützer fürchten, dass durch eine Marktöffnung Ferntransporte zur Versorgung großer Gebiete wahrscheinlicher werden. Lange Transportwege und Standzeiten führen aber häufig zu hygienischen Problemen, die nur durch starke Chlorung des Wassers beherrschbar sind. Aus Frankreich gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Meldungen über eine schlechte Trinkwasserqualität auf Grund von Ferntransporten.
Die Gegner eines freien Wettbewerbs auf dem Wassermarkt führen zudem ins Feld, dass die bisherigen – sehr erfolgreichen – Bemühungen zum Wassersparen zunichte gemacht würden: Wohl kein rein betriebswirtschaftlich arbeitendes Unternehmen würde seinen Kunden empfehlen, möglichst wenig zu verbrauchen. Auch der Grundwasserschutz sei auf Gebietsmonopole angewiesen, heißt es. Gegenwärtig zahlen viele Wasserwerke Prämien an Bauern, wenn die in bestimmten Gebieten auf Pestizide verzichten – ein Engagement, das bei harter Konkurrenz sicherlich als erstes gekippt würde.
Die Autoren des jetzt vorgelegten Gutachtens halten es für einen grundsätzlichen Fehler, die Kosten für den Trinkwasserschutz auf die Verbraucher umzulegen. Vielmehr müsse hier das Verursacherprinzip angewandt werden und die Landwirtschaft selbst in die Verantwortung genommen werden. Wo nötig, sollen die bislang freiwillig erbrachten Umweltleistungen der Versorger aus Steuern bezahlt werden, so der Vorschlag.
Autor Ewers stellte gestern klar, dass eine Liberalisierung des Wassermarkts „keine sturzbachartige Veränderung darstellt“, sondern in weiten Teilen nur Regeln schafft für eine Entwicklung, die längst läuft. In vielen Kommunen sind bereits in den vergangenen Jahren private Unternehmen eingestiegen. So trinken 300.000 Bonner seit Neujahr teilprivatisiertes Wasser, das die Energieversorger RWE Plus und Rhenag zusammen mit den Stadtwerken liefern. Auch Saarbrücken, Mannheim, Solingen, Düsseldorf, Bremen und Kiel haben strategische Allianzen mit Privatfirmen geschlossen oder stehen unmittelbar davor. Kaum ein Monat vergeht ohne eine solche Meldung.
Und auch die Entwicklung selbst ist nicht grundsätzlich neu. In Rostock zum Beispiel fließt bereits acht Jahre lang Eurawasser aus den Leitungen, das ein Tochterunternehmen von Thyssen und dem französischen Wassermulti Suez Lyonnaise des Eaux fördert. Die zum Eon-Konzern gehörende Gelsenwasser versorgt schon eine ganze Weile etwa drei Millionen Bürger im Ruhrgebiet. Und vor eineinhalb Jahren hat der Berliner Senat zur Sanierung seiner Hauhaltskasse 49,9 Prozent der Wasserbetriebe an RWE, den französischen Wassermulti Vivendi und die Allianz-Versicherung verkauft.
Insgesamt haben bei etwa sechs Prozent der deutschen Wasserversorger private Firmen das Sagen. An immerhin 26 Prozent der kommunalen Unternehmen sind nicht öffentliche Firmen beteiligt – Pegel rasch steigend.
Was dabei allerdings meistens nicht stattfindet, ist ein offener Wettbewerb. Die Stadtverordneten wählen einen Partner nach Gutdünken. Demgegenüber fordern die Gutachter des Wirtschaftsministeriums eine europaweite Ausschreibungspflicht.
Was auf jeden Fall auch ohne eine Änderung der Rechtslage geschehen wird, ist ein Konzentrationsprozess in der stark zersplitterten Branche. Über 6.000 Unternehmen versorgen gegenwärtig die Bewohner Deutschlands mit Wasser, eine noch größere Anzahl kümmert sich ums Abwasser – und jedes unterhält seine eigenen Labore und Wartungsmaschinen. Auf Grund der Gebietsmonopole haben sich vielerorts uneffektive Strukturen etabliert.
Dies allerdings wollen auch viele Kommunen aus finanziellen Gründen nicht länger hinnehmen. Deshalb schätzen Experten, dass in ein paar Jahren allenfalls 2.000 Unternehmen übrig bleiben werden. Manche erwarten sogar einen Schrumpfungsprozess, an dessen Ende höchstens noch ein paar Dutzend Firmen und Zweckverbände existieren.
In anderen Ländern der Europäischen Union hat es bereits in den vergangenen Jahren eine Welle von Zusammenschlüssen gegeben. Premierministerin Margret Thatcher hat das in Großbritannien gleich mit einer Vollprivatisierung verbunden. Dass Fusionen aber keineswegs zwangsläufig mit dem Rückzug des Staates verbunden sein müssen, belegen die nur noch 24 niederländischen Wasserbetriebe, die weiterhin der öffentlichen Hand gehören. In Frankreich erledigen dagegen schon seit längerem drei große Privatunternehmen etwa 80 Prozent des Geschäfts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen