: Wendland in Gewahrsam
Polizei räumt mehrere hundert Castor-Gegner von den Schienen und nimmt sie in Gewahrsam. Gesamte Region besetzt. Tausende demonstrieren in Dannenberg. Grünen-Fraktion zerstritten
LÜNEBURG/BERLIN afp/dpa/taz ■ Ein schönes Wort fürs Abräumen und Festhalten: Mit massiven „Gewahrsamnahmen“ von DemonstrantInnen hat die Polizei gestern auf die Proteste und Blockaden gegen den Castor-Transport Richtung Gorleben reagiert. Insgesamt setzte die Polizei seit Start des Zuges über 350 Castor-GegnerInnen fest, meist wurden die Personalien festgestellt. 18 DemonstrantInnen wurden vorläufig festgenommen.
Am frühen Abend wurde der Castor-Transport in Lüneburg vor der Weiterfahrt nach Dannenberg kurzfristig aufgehalten. Die eingleisige Strecke war noch nicht von allen Demonstranten geräumt. Noch vor der Ankunft des Castors demonstrierten am Abend mehrere tausend Menschen in Dannenberg gegen die Atommülllieferung. Sie forderten, die Castor-Behälter an ihre ursprünglichen Abenser, die Atomkraftwerke, zurück zu schicken. Von Dannenberg aus sollen die Castoren auf Tiefladern heute früh nach Gorleben verbracht werden.
In Wendisch Evern hatten am frühen Nachmittag mehr als 800 Menschen zeitweilig die Gleisebesetzt, auf denen der Castor rollen soll. Bei der Räumung der Blockade, kritisierte die Initiative „X-tausendmal quer“, hätten die Beamten durch „sehr heftigen Schlagstockeinsatz“ 20 Menschen verletzt. Bei der Blockade einer Straßenbrücke durch Traktoren der „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ wurden 20 Personen von der Polizei abgeräumt. Etwa 15 Greenpeace-Aktivisten wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen, nachdem sie fünf Stunden lang die neue Eisenbahnbrücke über den Fluss Jeetzel besetzt hatten. Die Umweltschützer hatten trotz Bewachung durch die Polizei die Brücke am frühen Morgen mit Schlauchbooten geentert. Der Sprecher der Initiative „X-tausendmal quer“, Jochen Stay, war bereits am Vortag von der Polizei auf richterlichen Beschluss in „Verhinderungsgewahrsam“ genommen worden. Freikommen werde Stay erst, wenn der Castor in Gorleben sei, hieß es. Die grüne Fraktionschefin in Niedersachsen, Rebecca Harms, sagte, die Dörfer an der Castor-Zugstrecke machten „den Eindruck von besetzten Dörfern“.
Die Grünen in Berlin haben gestern sowohl den Castor-Transport gegen Proteste als auch Proteste gegen den Castor-Transport verteidigt. „Wer den Ausstieg will, muss Transporte in Kauf nehmen“, sagte Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Auch Fraktionschefin Kerstin Müller sagte, Deutschland müsse den Müll zurücknehmen. Gleichzeitig begrüßte sie die Proteste, denn für den schnellstmöglichen Atomausstieg „brauchen wir auch öffentlichen Druck“. Die Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und Christian Simmert kündigten an, zu den Protesten nach Dannenberg zu fahren. Die Parteichefs Fritz Kuhn und Claudia Roth wollen heute in Gorleben sein. BP
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