ERBSCHAFTSSTEUER MUSS STEIGEN: KANZLER UND GRÜNE SIND DAGEGEN: Vererben macht unsterblich
Es gibt Werte in Deutschland, die werden immer heiliger. So heilig, dass inzwischen selbst die Grünen davor niederknien. Dazu gehören Werte wie das Eigenheim und die Familie. Die Kreuzung aus beidem ergibt die Immobilien-Erbschaft. Wenig ist politisch so tabuisiert wie die steuerliche Belastung von Immobilien, die innerhalb der Familie vererbt werden. Wer da ranwill, wird sofort vom Bundeskanzler und auch von grünen Finanzexperten zurückgepfiffen. Selbst wenn die Forderung durchaus den sonst geltenden Gerechtigkeitsmaßstäben entspricht.
Fünf SPD-geführte Bundesländer haben gefordert, dass Häuser bei der Erbschaftssteuer künftig mit 72 Prozent statt wie bisher 51 Prozent ihres Verkehrswertes veranschlagt werden. Die Länder folgen damit einer Vorgabe des Verfassungsgerichts von 1995, das eine Höherbewertung von Immobilien verlangte, schon um Gelderben nicht gegenüber Hauserben zu benachteiligen. Der Vorschlag der Länder bedeutete, dass Erben wertvoller Häuser künftig mehr Steuern zahlen müssten. Im Klartext: Wem künftig die Eltern ein Haus im Verkehrswert von 550.000 Mark hinterließen, der müsste nach wie vor keine Steuer zahlen. Wer hingegen ein Haus im Wert von einer Millionen Mark bekäme, müsste dann 33.000 Mark Erbschaftssteuer berappen statt bisher 6.300 Mark.
33.000 Mark Steuer für schulden- und mietfreies Wohnen bis ans Lebensende: Ist das zu viel verlangt? Es ist, sagt der Kanzler; und auch der grüne Finanzexperte Oswald Metzger geißelte die „Steuererhöhung“, durch die sich die Bundesländer nur bereichern wollten. Noch im Bundestagswahlkampf 1994 hatten die Grünen zwar erklärt, das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer verdreifachen zu wollen. Aber das ist lange her. Inzwischen sinken übrigens die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer, obwohl immer mehr vererbt wird. Aber um Vernunft geht es nicht beim Streit um die Immobiliennachlässe. Es geht um Metaphysik.
Wer Geld anhäuft, hortet Zukunft, schrieb der Soziologe Niklas Luhmann. Wer ein Haus aus Stein baut und an die Kinder vererbt, will damit noch mehr Zukunft haben. Das Haus, weitergegeben über die Nachkommen aus Fleisch und Blut, soll Unsterblichkeit sichern. Deswegen sind Immobilienerbschaften auch nur innerhalb der Familie steuerlich tabu. Dass Homosexuelle, die von ihrem verstorbenen Freund oder ihrer Freundin bedacht werden, bislang eine sehr hohe Erbschaftssteuer zahlen müssen, kümmert hingegen weniger.
Der Kanzler hat das metaphysische Element im Streit um die Erbschaftssteuer sofort erkannt. Eine vernünftige Gerechtigkeitspolitik hat daher bis auf weiteres keine Chance. BARBARA DRIBBUSCH
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