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Das verschlafene Finale

„Wenn dieser Protest nicht das Ende der Transporte war, dann war das unser Anfang“, ist die Bilanz der Castor-Gegner

aus dem WendlandTHOMAS GERLACH und NICK REIMER

Um acht Uhr morgens war alles vorbei. Zwar versuchten einige hundert CastorGegner vor den Toren des Zwischenlagers in Gorleben den schwer gesicherten Konvoi noch einmal zu attackieren. Angesichts der Polizeipräsenz mussten sie allerdings zugeben: Dieser Tag gehörte eindeutig der Polizei.

Der Morgen bot noch einmal das gesamte Spektrum der Polizeipräsenz: Sperrzäune, Wasserwerfer, Pferde, Blaulichtkonvois, BGS-Hubschrauber. Auf der anderen Seite diesmal orientierungslose Demonstranten. „Ist der Castor schon durch? Oder ist das alles eine Finte? Oder stehen die Behälter noch am Verladekran?“ Einzeln und in Gruppen zogen Castor-Gegner Richtung Gorleben. Im Morgengrauen, es war zwanzig vor sieben, hatten sich die Tieflader von der Verladestation in Dannenberg auf den Weg gemacht. Traktoren standen mit platten Reifen hilflos am Rand. Keine Chance mehr für Protest.

Vor vier Jahren brauchte der Konvoi sieben Stunden. Diese Bestmarke wollten die Demonstranten diesmal überbieten. In kleinen Häuflein liefen sie durch den Regen dem Transport hinterher, lieferten sich kleinere Scharmützel mit der Polizei. Doch während sie Äste auf den Asphalt warfen, rollte der Transport schon am Infostand in Gorleben vorbei durch das Dorf zum Zwischenlager. „Wieso macht ihr eigentlich nichts mehr?“, scherzte ein Polizist. Die Schmach der letzten Tage hatte bei den Staatsdienern Spuren hinterlassen, die gestern heimgezahlt wurden – verbal.

Lange Gesichter und Tränen entlang der Strecke, als klar war: die Castoren sind durch. „Die Infostruktur hat heute total versagt“, lamentiert ein frustrierter Demonstrant aus Ludwigsburg in Baden-Württemberg, der schon in Kehl gegen den Castor demonstriert hatte. Keine Siege mehr. Zumindest dieser Transport ist durch. Aus Enttäuschung wird schnell Ruhe im Gorlebener Camp. Mut machen am Infostand: Der größte Erfolg waren die Einzelblockaden mit Ketten und Beton am Gleis. „Dieses Mal waren wir auf dem Bahngleis, das nächste Mal nehmen wir uns wieder die Straße vor!“, versichert einer. Strategien für übermorgen. Auch wenn die Stimmung gestern gedrückt blieb, eines ist hier allen klar: Ob 90 oder 120 Millionen – bei diesem Fahrpreis dürfte es so schnell keinen Castor-Transport mehr geben.

Auf einer improvisierten Pressekonferenz in der Bauernstube von Trebel zogen die Aktivisten Bilanz. Brechend voll war der Saal, viele Aktivisten waren gekommen, um gemeinschaftlich Wunden zu lecken und Hoffnung zu tanken. „Wer heute noch sagt, der Atomkonsens trägt zur Befriedung bei, der will nicht hinsehen. Wir nämlich, sind hier unübersehbar geworden“, sagte Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg. Die Anti-Atom-Bewegung sei stark, zu den Protesten seien diesmal mehr Menschen gekommen als vor vier Jahren. Ehmke: „Wenn dieser Protest nicht das Ende der Atomtransporte war, dann war das hier unser Anfang.“

Begeistert gefeiert wurden Alex und Sascha, zwei der vier Robin-Wood-Aktivisten, die durch ihre „Beton“-Aktion den Castor 19 Stunden lang aufgehalten hatten. „Es gibt viele Möglichkeiten, gegen den Castor zu demonstrieren. Ich halte alle für legitim, solange kein Mensch verletzt wird“, erklärte Alex, und der berstend volle Saal forderte minutenlang „Zugabe!“. Veit Burger von Greenpeace sagte, dass schon in den nächsten Wochen Castoren von Biblis und Neckar-Westheim nach Philippsburg und Sellafield rollen werden. Und er versprach „Wir stellen uns quer.“

Welch schweren Stand die Grünen ab sofort in der Anti-Atomkraft-Bewegung haben, illustrierte Susanne Kamihn von der Bäuerlichen Notgemeinschaft. „Claudia Roth und Kerstin Müller sind nur auf den Trecker gestiegen, um sich abfilmen und abknipsen zu lassen. Wir werden diesen grünen Trittbrettfahrern kein Podium mehr bieten.“ Als dann Rebecca Harms auf die Bühne trat, kam es gar zu Tumulten im Saal. „Austreten“ und „Lügner“, schrien einige aufgebracht. „Zuhören“ forderten andere, die Harms zugute hielten, die Einzige zu sein, die noch nicht korrumpiert sei.

Fazit der Organisationen: Es gab weit über 1.500 in Gewahrsam genommen Demonstranten, ein Polizei-Konfliktmanagement, dass sich als reine PR-Maßnahme entpuppte, und einen eigenen Sieg. „Erstmals musste der Atomzug rückwärts fahren“, sagte Ehmke unter großem Jubel, „und das wird dem Atomkonsens genauso gehen.“

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