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Auf Affes Schwingen

■ Das Theaterprojekt WildwuX tourt mit dem Stück „Monkeywings“ durch Europa – nicht im Privatjet, sondern auf dem Trecker

Frieder, Jan und Tensch wohnen im Omnibus. Das Gefährt mit den schnittigen braunen Seitenstreifen stammt scheinbar noch aus der Zeit des Wirtschaftswunders, dennoch werden sich Frieder, Jan und Tensch mit dem Vehikel und sieben Schauspielerkollegen auf die Reise durch halb Europa machen. WildwuX nennt sich die Theatertruppe, die ab April mit Bus, Treckern und drei Zirkuswagen durch die Lande tingeln will. „Nicht Luftlinie von Hamburg ans Mittelmeer, sondern mit 25 km/h über die Landstraße“ sagen sie und glauben fest an die Entdeckung der schönen Seiten der Langsamkeit.

Bremen, Schwaben, Österreich, Norditalien. Slowenien, Ungarn, Slowakei und Tschechien lautet die grobe Reiseroute. Insgesamt ein halbes Jahr werden sie im Kampf gegen die Schnelllebigkeit unterwegs sein. Dabei haben die Wildwüxe weder Promoter, Agenten, noch eine Tarifgruppe. Das Stück, das sie spielen, heißt „Monkeywings“ – Affenflügel – und ist in unzähligen Probe-Wochenenden unter der Leitung des Berliner Regisseurs Philipp Harpain entstanden. Die Geschichte: Zwei Volksgruppenfamilien leben ein ungestörtes Nebeneinander, bis zu dem Tag, an dem sich zwei Mitglieder der Familien kennen und lieben lernen. Die beiden Gruppen geraten aneinander, streiten, toben, bis die Verliebten zusammen fliehen.

Die Thematik ist altbekannt, ihre Umsetzung dagegen ganz neu. So tragen die beiden Familien nicht die Namen Montague und Capulet, sondern sind Hühner- und Affensippen. Während die Affen geschäftig auf Nahrungssuche sind, dösen die Hühner selig auf ihren Stangen. Zwei Gruppen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. So kommt eins zum andern. Und noch etwas ist anders im WildwuX-Theater: Keiner aus dem Ensemble musste lange Textpassagen auswendig lernern, sogar nicht einmal kurze. Keiner ist nur Schauspieler allein. Sie sind gleichzeitig Akrobaten, Jongleure, Musiker und Meister der Mimik. Sie vereinen ihre einzelnen Fähigkeiten zu einem schrillen Ganzen, einem Stück, dass auch in Italien, Ungarn oder Tschechien ohne Simultanübersetzer verstanden werden kann.

„Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten und bringt so viel ein, wie er kann“, betont Jan Lorenz, 25, Mathematik-Student aus Bremen. Jans Stärke liegt in der Keulenjonglage. Die Altersspanne im Ensemble reicht von 20 bis 51, und auch sonst könnte die Crew heterogener nicht sein. Tensch zum Beispiel ist mit 51 das älteste Wildgewächs, begnadeter Tänzer, aber eigentlich Sport- und Biolehrer von Beruf. Der 46-jährige Jochen Hertrampf, im normalen Leben Leiter eines Kulturladens in Bremerhaven, steckt mitten im unbezahlten Urlaub und ist geistiger Vater der WildwuX-Idee. Es würde dauern, sie alle vorzustellen, die Elektriker und Straßenmusiker, Berliner Schnäppchen-Schläger und Tanzakrobaten. Alle haben viel Geld und Zeit in die Vorbereitungen investiert und hoffen jetzt, dass sie von Eintrittsgeldern und Spenden ein halbes Jahr überleben können. Frieder, Jan und Tensch haben rund vier Monate an ihrem Omnibus herumgebastelt. Eine der ausrangierten Bus-Sitzbänke steht jetzt auf dem Balkon von Jans Wohngemeinschaft. Sein Zimmer dort hat er allerdings schon gekündigt.

Susanne Polig

Mitte April tuckert die WildwuX Theater Aktion los. Wer sie vorher noch erleben will, sollte am 11. oder 12. April um 20 Uhr nach Bremerhaven zum Alten Kraftwerk an der Kaiserschleuse fahren. Am 14. Und 15. April gibt's noch Vorstellungen um 20.30 in Bremen, und zwar beim Jungen Theater im Güterbahnhof.

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