: louisa hanoune:
„Ganz normale Banditen“
taz: Seit einigen Monaten nimmt die Gewalt in Algerien wieder zu. Ist die Aussöhnungspolitik gescheitert?
Louisa Hanoune: Das Gesetz der Zivilen Eintracht hatte nur ein Ziel: Den Rahmen zu liefern, damit die Mitglieder der Islamistischen Armee des Heils (AIS) ins zivile Leben zurückkehren konnten. Hinzu kam eine Amnestie für mehrere tausend inhaftierte Islamisten. Das hatten Armee und AIS so ausgehandelt. Was die Generäle darüber hinaus mit den Islamisten vereinbart haben, ist bis heute nicht bekannt. Das Abkommen ist streng geheim. Friedensprozess und Aussöhnung hat es nicht gegeben.
Trotz mehrerer großer militärischer Aktionen ist es nicht gelungen, die anderen bewaffneten Gruppen zu bezwingen.
Das ist kein Krieg fester Fronten, das ist ein Krieg der sozialen Desintegration. Auf der einen Seite haben wir Armee und Polizeikräfte. Hinzu kommen die staatlich ausgerüsteten Bürgermilizen und die Selbstverteidigungsgruppen, sowie die Dorfwächter. Auf der anderen Seite die so genannten islamistischen Gruppen. Viele dieser Banden sind nicht klar zu identifizieren. Die Gewalt ist längst eine lukrative Einnahmequelle geworden. Wer eine Waffe hat und nichts zu Essen und keine Arbeit, der benutzt ganz einfach seine Waffe. Viele bewaffnete Gruppen haben als Islamisten begonnen, um als ganz normale Banditen zu enden.
Wie kann es weitergehen?
Eine politische Krise kann unmöglich mit Waffengewalt und Repression gelöst werden. Deshalb müssen alle politischen Kräfte gemeinsam eine Lösung suchen. Dazu gehören Führer der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) wie auch Vertreter der Armee. Wir verlangen die Einberufung eines Nationalkongresses, der die Ursachen des Konfliktes untersucht und demokratische und soziale Reformen debattiert.
In Europa glauben manche, dass eine Konfliktlösung nur mit ausländischer Hilfe möglich ist.
Wir sind gegen jegliche äußere Einmischung. Nur wir Algerier selbst können den Konflikt bewältigen. Eine Lösung, die aus Washington oder Paris kommt, kann unser Land nicht aus der Sackgasse führen.
Wie müssten die ersten Schritte in Richtung Frieden aussehen?
Alle Persönlichkeiten, die an einer solchen nationalen Debatte teilnehmen, müssten gemeinsam zum Ende der Gewalt aufrufen. Die mehreren tausend Inhaftierten, die wegen Meinungsdelikten einsitzen, müssen freigelassen werden. Außerdem muss das Thema der Verschwundenen gelöst werden. Die Sicherheitskräfte haben Menschen entführt. Alleine bei meiner Partei haben über 7.000 betroffene Familien vorgesprochen. Unzählige Familien haben durch den Terrorismus alles verloren. Ihnen muss geholfen werden. Die Armee hat insgesamt 400.000 Waffen an Zivilisten ausgegeben. Das ist das wichtigste Problem. Die Mitglieder der Bürgermilizen müssen ins Zivilleben integriert werden. Sie brauchen einen Arbeitsplatz.
Und was soll mit denjenigen geschehen, die sich dennoch nicht ergeben?
Wenn die politischen Probleme gelöst werden, fällt endgültig jede Rechtfertigung für den bewaffneten Kampf weg. Die Gruppen, die dennoch nicht aufgeben, beweisen damit selbst, dass sie keinen politischen Kampf führen, sondern andere Interessen verfolgen.INTERVIEW: REINER WANDLER
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