: Hier kommt der Hammer
■ Mit festem Griff und Wiener Klangsinnlichkeit dirigierte Günter Neuhold das Philharmonische Staatsorchester durch die Klangmassen von Mahlers sechster Sinfonie. Ein sichtlich ergriffenes Publikum folgte dem Geschehen
Dass Musik ein Hammer sein kann, weiß man spätestens dann, wenn die eigene Brut die vom Taschengeld gekaufte erste Stereoanlage im Kinderzimmer ausprobiert. Der Welt der E-Musik hingegen ist der Hammer eigentlich fremd. Nur die wenigen wüsten, rücksichts- und geschmacklosen Genies der Musikgeschichte wussten den Hammer zu schätzen. Berlioz lässt ihn schon mal fallen, dass die morschen Knochen zittern und Wagner hat mit vielen Hämmern und Ambossen die Klangwelt der Industriegesellschaft ins Musiktheater einbrechen lassen.
Dem wahren und echten Hammer, einer Dampframme vergleichbar, niederschmetternd und unerbittlich ist der Musikfreund aber in Mahlers sechster Sinfonie ausgesetzt. Mit diesem in seinen Dimensionen monumentalen und monströsen Werk setzte Generalmusikdirektor (GMD) Günter Neuhold seinen Mahlerzyklus mit dem Philharmonischen Staatsorchester Bremen am Montagabend im großen Saal der Glocke fort.
Die sechste Sinfonie von Gustav Mahler ist – obwohl in Zeiten privater und beruflicher Höhepunkte (Hofoperndirektor zu Wien, allererster Ehegatte von Alma Mahler-Schindler und so weiter) entstanden – die erste, in der existenzielle thematische Konflikte nicht mehr wie in früheren Sinfonien in triumphalen, lyrischen-skurrilen oder lärmend-geschäftigen Finalsätzen aufgelöst werden. Das bislang für den Hörer so genussreiche Spiel zwischen Ernst, Ironie, Witz und gefährdetem Pathos hat hier ein Ende. Stattdessen kommt der Hammer.
Dreimal muss er zuschlagen, um eine kräftige, sich heftig und mit allen instrumentalen Mitteln wehrende Hundertschaft gestandener Musiker zu Tode zu bringen. Und mit ihr erschlägt er gleichzeitig das Auditorium. Ein riesiger Hammer, über den Köpfen eines Sinfonieorchesters geschwungen, ist schon irgendwie komisch, wie alles was seiner eigentlichen Zweckbestimmung entfremdet wird. Und doch, hier passt er genau hin. Er setzt einen energisch-brutalen Schlussstrich unter die düsteren Außen- und Innenwelten, denen der Hörer in den vorangegangenen Sätzen begegnet. Da erscheint das k.u.k. Wien der Jahrhundertwende mit seinen flotten Märschen und der blauen Donau mit den Augen eines Beobachters gesehen, der diese Welt als existenzielle Bedrohung empfindet, da werden im zweiten Satz schattenhaft-groteske Nachtgestalten, dem Unterbewusstsein entschlüpft, real und dort breitet sich eine Naturidylle mit Kuhglockengebimmel aus, die unerreichbar und gefährdet erscheint.
Günter Neuhold hatte die mahlerschen Klangmassen fest im Griff. Ihm und dem Orchester gelang – sieht man von gelegentlichen, unvermeidbaren Ungenauigkeiten ab – fast alles. Lustvoll gestaltete Neuhold instrumentale Details mit ausgeprägtem Sinn für Klangfarbenregie, ohne manieristisch zu werden.
Doch anders als Michael Gielen, der vor einiger Zeit diese Sinfonie als knallharte Katastrophe exekutiert und deren musikalische Struktur blank gelegt hat, geht Neuhold die Sache eher in alpenländisch mildem Geist an. Immerhin hat er in die Norddeutsche Tiefebene Wiener Klangsinnlichkeit gebracht. Grell darf es bei ihm schon klingen, aber nicht schneidend. Rhythmisch exakt will er es schon haben, aber keineswegs mechanistisch. Gewaltig soll es schon tönen, aber schmerzen muss es nicht unbedingt und die polyphonen Reibungen sollten auch nicht gar zu sehr knirschen. Wo es vielleicht peinlich sein könnte, wie bei den Kuhglocken, die nach Mahlers Vorstellung den wenig erfolgreichen Widerpart zum Hammer spielen sollen, lässt man sie im Hintergrund verschwinden, so klingt es denn mehr nach Messglöckchen als nach Kuhweide. Wir hörten jedenfalls einen Mahler, der eher als übersteigerte Fortsetzung Anton Bruckners erscheint, denn als Wegbereiter der Musik des 20. Jahrhundert. Das war aber spannend, beeindruckend und erschütternd genug und deshalb dennoch ein tief empfundenes Dankeschön an Dirigenten und Musiker.
Diesen stattete denn auch ein sichtlich ergriffenes Publikum mit entschiedener Heftigkeit ab.
Mario Nitsche
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen