Zweideutige Signale aus dem Kreml

In seiner Rede an die Nation zieht Russlands Präsident Wladimir Putin eine positive Bilanz des Erreichten. Grund zur Euphorie, findet der Kremlchef, bestehe dennoch nicht. Zu einem Schwerpunkt seiner Bemühungen will Putin eine Justizreform machen

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Harte und schwierige Arbeit stehe bevor, Grund zu übertriebener Euphorie habe Russland nicht. Das war das Fazit der jährlichen Rede der Nation, in der Kremlchef Wladimir Putin Rechenschaft über Erreichtes ablegte und sein Programm für das laufende Jahr erläuterte.

Alles in allem bewertete Putin seine Reformen des Staatsumbaus, besonders die Straffung der Beziehungen zwischen dem Zentrum und den Regionen, als gelungen. Im Vergleich zu den turbulenten Jahren unter Jelzin habe Russland Ruhe gefunden. Die Gefahr einer Desintegration sei abgewendet worden.

Gleichzeitig warnte der Kremlchef davor, sich mit der relativen Stabilität zufrieden zu geben. Das war vor allem als Aufforderung und Mahnung an Russlands schwerfällige Bürokratie gedacht, die unter Stabilität oft etwas sehr Spezifisches versteht: die Konsensfindung konfligierender Wirtschaftsinteressen auf Kosten der Gesellschaft. Stichwort Korruption. Diese Form der Stabilität blockiere die Entwicklung und führe in die Stagnation, meinte Putin. Wie Russland der Krankheit zu Leibe rücken will, sparte er aus.

Als einen Schwerpunkt hob der Präsident die Reformierung der Justiz hervor. Ohne eine radikale Veränderung sei auch in der Wirtschaftsentwicklung kein Durchbruch zu erwarten. Grundsätzlich bemängelte der Bericht Korruption und Willkür der Rechts- und Sicherheitsorgane. Auch heute begegnet der Bürger den Institutionen mit Misstrauen. Recht erhalte immer noch der, der über die entscheidenden Hebel verfügt. In Anlehnung an die Schattenwirtschaft, die in Russland etwa die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes am Fiskus vorbei produziert, sprach Putin von einer „Schattenjustiz“.

Die Schwäche des Rechtswesens untergräbt unterdessen die Autoriät des Staates. Allerdings geht der gelernte Jurist, der mit aller Macht versucht, den kritischen Privatsender NTW unter staatliche Kontrolle zu bringen, hier mit schlechtem Beispiel voran. Der doppelte Maßstab, mit dem er zu Werke geht, deutet eher darauf hin, dass in Russland weiter der Stärkere Recht erhält.

Zur Wirtschaftspolitik versicherte Putin, der bisherige Kurs in Richtung Marktwirtschaft werde beibehalten. Schon im Januar hatte er den einflussreichen Wirtschaftsmagnaten versichert, an den Besitzständen werde der Kreml nicht mehr rütteln. Putin begründete dies jetzt nochmals mit den Gefahren von Renationalisierungen für den gesellschaftlichen Frieden. Eine effektivere Steuerpolitik soll für den Interessenausgleich sorgen.

Außenpolitisch hielt sich der Kreml zurück. Mit keinem Wort ging Putin auf die angespannten Beziehungen zu den USA ein. Indirekt kritisierte er die Politik der Nato, die die „Meinung der Weltgesellschaft“ und internationales Recht ignoriert habe.

Putins abschließendes Credo: Moskau habe mit dem verheerenden Zyklus der russischen Geschichte (Revolution – Konterrevolution – Suche nach den Schuldigen und deren drakonische Bestrafung) gebrochen. Nun sei es Zeit, ernsthaft zu arbeiten. Die Signale des Kremlchefs sind wie immer zweideutig. Den liberalen Ductus beherrscht er jedoch vortrefflich.