Umweltschutz ist wieder aktuell

Heute setzt der Bundeskanzler offiziell den nationalen Nachhaltigkeitsrat ein. Nachdem Rot-Grün die Besetzung des Gremiums zwei Jahre lang vertrödelt hat, sind die verdrängten Themen plötzlich wieder da: Agrarwende, Ökosteuer und Klimaschutz

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Grüne und SPD streiten über die Ökosteuer, das Wirtschaftsministerium bremst die Kraft-Wärme-Kopplung, BSE und MKS fressen die Mittel für die Agrarwende auf, und George Bush kündigt Kioto auf. Kein Zweifel: Der 16-köpfige „Nachhaltigkeitsrat“, der sich heute in Berlin zur ersten Sitzung trifft, wird sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit nicht beklagen können. So viel Interesse an „nachhaltiger Entwicklung“ gab es selten.

Der Bundeskanzler persönlich spricht heute zu den 16 Personen aus Kirche, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden, die künftig seine Regierung beraten und moderne Umweltpolitik populär machen sollen. Nachdem die Regierung zwei Jahre getrödelt hat, drängt nun die Zeit: Bis 2002 – rechtzeitig zur Wahl und zum „Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung – zehn Jahre nach Rio“ will Deutschland seine „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ vorlegen. Einige Mitglieder haben noch keine genaue Vorstellung, wie sie sich mit dem Rat positionieren wollen. Die Vorsitzende des Umweltverbandes BUND, Angelika Zahrnt, weiß zumindest genau, was sie nicht will: die Regierung bloß beraten. Konzepte gebe es schon „sehr gute und sehr viele“, sagt Zahrnt. Der Rat solle vielmehr Lösungen von der Regierung fordern und der „Motor für ihre Umsetzung sein“. Für Zahrnt geht es darum, „Fronten in Verbandspositionen zu durchlöchern und neue Allianzen zu ermöglichen“.

Auch wenn Deutschland zurzeit in Sachen Klima, dem wichtigsten Pfeiler für eine nachhaltige Entwicklung, durch eine aufrechte Haltung gegenüber den USA glänzt, gibt es auch hierzulande genügend Schwachpunkte. Noch immer nehmen etwa die Zersiedelung und der Verbrauch von Boden zu, kritisiert die Umwelt- und Dritte-Welt-Organisation German Watch gestern in Berlin. Im Bereich Klimaschutz sei die Bilanz der Regierung dagegen bislang besser. Doch auch wichtige Aspekte des Klimaschutzes kommen unter Beschuss. So tobt noch immer der Streit um das Ausbauprogramm für die Kraft-Wärme-Kopplung. Der BUND warf dem Wirtschaftsminister Werner Müller gestern eine Blockadehaltung vor. „Das Kanzleramt solle endlich die Führung übernehmen“, forderte gestern Gerhard Timm vom BUND. Auch der Ökosteuer droht das frühe Ende, sollten die Grünen nicht gestärkt aus der kommenden Wahl hervorgehen.

Themen genug also für den Nachhaltigkeitsrat. Grüne Umweltpolitiker, die den Nachhaltigkeitsrat erst auf den Weg gebracht hatten, wünschen dem Rat zwar ein gutes Standing, sehen seinen Start aber auch mit einem weinenden Auge. Denn unter den 16 Mitgliedern, die am Ende vom Kanzleramt berufen wurden, sind gleich sechs SPD-Mitglieder und vier CDU-Mitglieder. Parteilose sind in der Unterzahl, Grüne gibt es nicht. Außerdem gibt es nur drei Frauen in dem Rat, Einwanderer, jüngere Mitglieder oder Vertreter von Dritte-Welt-Gruppen sucht man im Rat vergebens. „Ich bin froh, dass der Rat jetzt endlich zustande gekommen ist“, sagt der grüne Abgeordnete Winfried Hermann. „Aber eine etwas ausgewogenere Zusammensetzung hätte ich mir schon gewünscht.“